Als würde ich fliegen
dass Katherine Dunham in der Tat eine Schönheit war: Das Bild war beim Tanzen aufgenommen, ihre Hüften stießen verspielt an die ihres Partners, die Arme schwangen in die Gegenrichtung. Aber nichts sollte Antoney auf den Eindruck vorbereiten, den sie auf ihn machen würde. Da Mr. Rogers so seine Beziehungen hatte, umgingen sie die Schlange vor dem Eingang und kamen schneller ins Theater. Und das war überhaupt nicht wie Hans und die Bohnenranke , unter einem Zinkdach in Richmond! Antoney verliebte sich in die Winkel und geheimen Nischen, den großen hallenden Raum. Er verliebte sich in die kühne Bemalung an den Wänden und die Aufregung, die in der Luft lag. Er hatte das Gefühl, dass hier eine andere Welt möglich war, dass man vor der Tür das eine, und wenn man hindurchging, etwas anderes sein konnte. Es war Magie, eine Zauberhöhle, ein verwunschener Ort. Von diesem Tag an, gleich, ob in London, Paris oder Kopenhagen, sollte es für Antoney immer so sein: In dem Moment, wenn man in das Theater geht, den Geruch betritt, und es ist derselbe Geruch in jedem Theater der Welt, der Geruch nach unendlichen Möglichkeiten und angehaltenem Atem, bleibt alles Irdische außen vor.
Er teilte seine Eindrücke nicht mit Mr. Rogers, der ständig Hände schüttelte und seinen Hut lüftete, ganz der Humphrey Bogart von Kingston. Antoney blieb ruhig und beobachtete still, wie sich die Sitze mit der plaudernden Menge füllten. Hier im Innern kamen ihm die Menschen weniger real als draußen vor, wie Kinder, selbst die älteren Leute. Sie alle sahen aus, als spielten sie Theater.
Die Bühne wurde von einem schweren, scharlachroten Vorhang mit schwarzen Quasten verhüllt. Als es draußen rasch Abend wurde, erhöhten die schummerigen Lampen an den Seiten des Zuschauerraums noch die Spannung auf das, was jenseits des Vorhangs lag. Gelegentlich war dort eine Bewegung zu sehen, was Antoney sehr aufregend fand. Wie gerne hätte er den geheimnisvollen Samt berührt.
»Wann geht es endlich los?«
»Bald schon«, sagte sein Vater. »Hab Geduld und warte.«
Mr. Rogers schlug die Beine übereinander, lehnte sich im Stuhl zurück, hob das Kinn und legte seine schlanken Hände übereinander in den Schoß. Antoney tat es ihm nach.
Kurz bevor sich die Dunkelheit über den Saal senkte, beugte sich Mr. Rogers hinüber und sagte: »Hey, vielleicht kann ich uns nachher hinter die Bühne bringen. Was meinst du?«
»Nein«, sagte Antoney völlig entsetzt. »Da will ich nicht hin!«
»Was? Du willst Miss Dunham nicht kennenlernen?«
»Nein, Mr. Rogers.«
Als sich die Dunkelheit schließlich über alles gelegt hatte, lehnte sich sein Vater wieder zurück. »Warten wir’s ab«, murmelte er. »Vielleicht doch.«
Der Zuschauerraum war nun vollkommen still, als ob jemand einen Zauberstab geschwungen und Schweigen geboten hätte. Als sich der Vorhang hob, nahm er Antoneys Magen mit. Antoney verschwand, Mr. Rogers verschwand, und mit ihnen das gesamte Publikum. Allein die Bühne blieb übrig, sie war schon in Bewegung, sanft vom Rampenlicht erhellt. Zu Trommelschlägen und kräftigem Gesang fegten Tänzer in Sidesteps über die Bühne, die Frauen in langen weißen Kleidern, die Männer mit entblößter Brust in weißen Kniehosen. Im Zentrum aber stand eine große, kraftvolle Frau mit einem breiten, gestreiften Band um den Kopf, das beim Tanzen flatterte. Sie hatte das leuchtendste Gesicht, das Antoney je gesehen hatte. Die Kraft war überall in ihr, nicht nur im Gesicht, sie war in den Beinen und Armen, den kreisenden Schultern, den Händen, die sich sorgsam formten. Ihre Augen strahlten berückend und verhießen sich und allen anderen, dass sie immer strahlen würden, und sie hatte einen hinreißenden, eigensinnigen Mund. Mr. Rogers flüsterte Antoney in der Dunkelheit zu: »Und das ist Katherine Dunham.«
Antoney konnte die Augen nicht von der Bühne lösen. Er war gefesselt von der Schönheit und dem Stolz der Tänzer, dem Schleifen, Gleiten und Springen der Füße. Er jagte sich selbst in ihnen nach, und schließlich fand er sich, mit einem glücklichen Keuchen, in einer Kampfszene, bei der zwei Männer in weiten, eiligen Sätzen übereinandersprangen, sie flogen, sie stürzten, sie wirbelten sich herum. Aber Katherine war die, der er am ergebensten folgte. Er verpasste keine Bewegung, manchmal tanzte sie wie eine Ballerina, manchmal einen Volkstanz, manchmal beides zugleich. Sie wand den Kopf und warf das Bein in die Luft. Ihr straffer
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