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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Stimmen. Doch bevor ihm der Abgang glückte, die Frage war vergessen, öffnete Katherine Dunham persönlich mit sehr viel Schwung die Tür.
    »Hast du meinen Slipper gesehen, den orangefarbenen?«
    Sie wandte sich zurück in die Kammer, die voller Blumen war, und kniete sich neben eine Truhe, auf der »K. DUNHAM « stand.
    »Miss Dunham«, sagte der Theaterleiter, »hier ist Mr. Rogers für Sie.«
    »Mr. Rogers«, murmelte sie. »Mr. Rogers? … Ich glaube nicht, dass ich …« Sie stand auf, sie war fast so groß wie Mr. Rogers, und schaute ihn prüfend an. »Ich kann mich nicht erinnern, wo wir uns begegnet sind, aber Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. War das in den Staaten? Hier, nimm mal, ich zieh die an.« Sie beugte sich, schlüpfte in ein Paar hoher Sandaletten und seufzte vor Erleichterung.
    Außer Katherine waren drei weitere Personen dort, zwei Frauen und ein Mann. Sie lehnten am Ankleidetisch, sehr selbstbewusst und breitschultrig, die Schlüsselbeine glänzten. Sie unterbrachen ihr Gespräch und musterten die Besucher.
    Der Raum war mit lebhaften Stoffen und üppigen Behängen ausstaffiert, als ob sich die Bühne hier fortsetzen sollte. Am einen Ende des Ankleidetischs stand ein Korb mit frischem Obst. Mr. Rogers plauderte mit Katherine, ganz Charme und Lächeln, erwähnte beiläufig sein Saxofon und eine Show in Baltimore, und ob sie sich tatsächlich an ihn erinnerte oder auch nicht, das schien nach einer Weile ganz egal zu sein. Sie hatte offenkundig Gefallen an ihm, alle hatten Gefallen an ihm, und Antoney begriff, dass sein Vater aus diesem Grund berühmt war – er hatte Persönlichkeit. Der Raum füllte sich mit Gelächter und Stimmen. Zunächst versuchte Antoney, Katherine nicht unmittelbar anzublicken, doch sie war so herzlich und freundlich, dass es schwer war, sich vor ihr zu fürchten. Er hob den Kopf, sah auf in das berückende Gesicht mit den Strahleaugen und betrachtete sie ernsthaft.
    »Und wer ist der hübsche junge Mann?«, fragte sie.
    Mr. Rogers legte die Hand auf Antoneys Rücken und schob ihn vor. »Das ist mein Sohn, Antoney.«
    Katherine setzte sich auf ihre Truhe. Sie hatte ihr Kostüm gegen Netzstrümpfe und ein Seidenkleid mit halblangen Ärmeln getauscht. Sie beugte sich zu ihm. »Nun, Antoney«, sagte sie. » Du bist ja schon jetzt eine Schönheit.«
    Er verstand nicht wirklich, was sie damit meinte, dankte ihr aber dennoch.
    »Hat dir die Show gefallen?«
    »Oh ja, Miss Dunham. Das war viel besser als Hans und die Bohnenranke .«
    Katherine lachte und legte ihm kurz die Hand ans Gesicht. »Das beruhigt mich. Bist du aus Kingston, Antoney?«
    »Nein, aus St. Mary, auf dem Land. Da kann man mit dem Bus hinfahren.«
    »Aha.«
    Sie sah ihm herzlich und offen in die Augen, und er fasste Mut. Das war die Gelegenheit. Und wie oft hatte sein Vater schon gesagt, dass sich eine Gelegenheit womöglich nur ein Mal im Leben bot. Er holte also tief Luft und suchte nach seiner Stimme, weit hinten in der Kehle. Als er sie schließlich wiederfand, war sie leiser als sonst. »Miss Dunham?«
    »Ja?«
    »Was muss ich tun, um – um Tänzer zu werden … so wie Sie?«
    Antoney spürte einen kurzen, intensiven Moment lang die Augen seines Vaters auf sich. Die übrigen Gespräche gingen weiter, es hatte sich kaum etwas verändert, und doch hatte Antoney das Gefühl, er stünde plötzlich ohne Kleider da. Könnte er doch mit Katherine allein sein, nur mit ihr, und ganz privat darüber sprechen.
    Katherine lächelte bloß. Sie stellte einen Fuß auf die Truhe und schlang die Arme um das Bein. Sie sprach in klaren Worten, als wäre sie die Frage gewöhnt, und machte hin und wieder Pausen, damit er ihren Worten folgen konnte.
    »Das erfordert Hingabe, Antoney, und sehr viel hartes Training. Verstehst du das Wort Hingabe? … Gut. Denn du musst dich dem Tanzen hingeben. Du musst jeden Tag üben, wann immer du kannst, damit dein Körper stark bleibt. Hör zu, setz dich zu mir. Willst du wirklich Tänzer werden?« Er nickte heftig. »In dem Fall«, sagte sie, »muss deine Hingabe so groß sein, dass es kaum etwas Wichtigeres als das Tanzen gibt. Und das ist nicht leicht. Du wirst müde werden, auf Schwierigkeiten stoßen, und manchmal willst du sicher aufgeben. Du bist ja selbst noch im Wachsen, daher wirst du mich verstehen, wenn ich sage, dass du das Tanzen wie etwas behandeln musst, was in dir heranwächst, wie ein Kind oder eine Pflanze. Du musst ihm Nahrung und Wasser geben. Verstehst du

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