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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Kapriolen begann, die Schultern rollte, die Fäuste in der Luft, die Knie tief gebeugt, und Ekow dazu anstachelte, es ihm gleichzutun. Simone tanzte mit ihrer kiefernhäutigen Freundin, Carla, so nahm Antoney an, die ihre Bowle mit langen, dünnen Armen durch die Luft balancierte. Die Hälfte aller Männer schaute sie an, ein schwingendes, wirbelndes Sternchen, eine hüpfende, türkis umflorte Nymphe. Sie brach ständig in Gelächter aus und wirbelte mit einem zotteligen Abendschal herum, der ihre Waden umspielte. Als Ekow Antoney in ihre Mitte zog, sah sie ihn gründlich an, ein wenig länger sogar, als sie wohl vorgehabt hatte, bis sie von Simone abgelenkt wurde. Weiter ging der Tanz. Der frostige Nachthimmel bekam erste Lücken.
    Wenn nur noch fünfzehn oder zwanzig Leute da sind und es bald schon dämmern wird, dann geht die zweite Party los. In der Küche wird es philosophisch. Die Tanzfläche wird neblig. Der DJ spielt die langsamen Paarungsstücke, Liebeslieder, die sehnsüchtige Tänzer zueinander treiben, oder aber die schrägeren Sachen, die bei der großen Menge nicht so gut ankommen. Carla hatte sich die Stiefel ausgezogen und offenbarte geschwungene, sinnliche Knöchel. Als Sam Cooks »Chain Gang« zum zweiten Mal lief, shimmyte sie mitten im Stück auf Antoney zu, der gerade an einer Wand zusammensacken wollte, und sagte: »Oh nein, vergiss es«, also tanzten sie zusammen. Ihre Lebendigkeit riss Antoney mit, er wurde lockerer, und dann legte er los, zog eine richtige Schau ab, mit komplizierten Bewegungen, der große Auftritt. Bei einem schwülen sexy Song kam sie in seine Arme, sie tanzten Bein an Bein, er roch ihr Haar, ihr Shampoo, und als wieder ein Ska-Stück kam, sanken sie gemeinsam an einer Wand auf den Boden. Sie saß mit überkreuzten Beinen da, wie ein Kind, in seine Richtung gelehnt.
    »Ich find’s immer komisch«, sagte sie, sie war ein wenig beschwipst, »wenn ein Ska-Stück läuft. Das Stück beginnt, und ich hör zu, aber anfangs kann ich gar nicht sagen, was es ist, verstehst du, was ich meine? Es klingt irgendwie – unmöglich, so als ob die Sounds nicht zusammenpassen. Geht dir das auch so?«
    »Eigentlich nicht«, erwiderte er. In dem fahleren Licht sah er Sternenaugen, sanfte Wangen und ein wenig schiefe Zähne. Sie blinzelte sehr langsam, als ob die Lider nicht groß genug wären, sich über die Augen zu legen.
    »Nicht? Nun, nach einer Weile versteh ich’s ja, ein paar Takte später. Nach einer Weile …«, sie bewegte die Finger wie bei einem Zaubertrick, »… entwirrt sich das Stück. Dann kapier ich’s. Warum, glaubst du, ist das so?«
    »Vielleicht soll es ja so sein«, sagte er.
    »Ich mag deine Augen«, sagte sie.
    »Ich mag deine Knöchel.«
    Sie wohnte, so erfuhr er, auch bei ihrer Mutter. Von dem vielen Tanzen, sagte sie, sei ihr Haar feucht und trocken zugleich, was sie offenbar als Problem empfand. Sie erzählte ohne Blinzeln oder Zögern, dass ihr Vater tot sei. Sie berührte ihn ständig, sie fasste ihn während ihrer Unterhaltung immer wieder in aller Unschuld am Arm oder an der Schulter an. Er fragte sie, ob sie regelmäßig zu Oscar ginge: »Hin und wieder. Ich bin keine richtige Tänzerin.«
    Simone kam, nach einem langen Ausflug in die Küche, zurück ins Zimmer, John legte Louis Armstrong auf. Als Simone sich setzte, lehnte sich Carla zurück in den Schoß ihrer Freundin und breitete die Arme aus, sodass sie halb auf dem Boden lag. »Wo sind meine Stiefel?«, lallte sie.
    »Hier drüben«, sagte Simone.
    Carla legte die Hand an Simones Gesicht. »Simone ist eine richtige Tänzerin«, sagte sie. »Ich mach nur ein bisschen rum, nicht wahr?«
    Als Antoney einige Wochen später ein zweites Mal zu Oscar ging, rückte er eine Reihe weiter vor. Das Mal danach noch eine Reihe, allerdings kam er meistens zu spät und entging so der anfänglichen Improvisation, die er peinlich und albern fand. Oscar missfiel Verspätung. »Tänzer!«, rief er. »Euer Timing ist beschissen. Kommt pünktlich oder gar nicht.« Bald schon erschien Antoney einmal, zweimal, manchmal sogar dreimal in der Woche nach Feierabend, und gelegentlich belog er seine Mutter über seinen Verbleib. Dies war der einzige Ort in England, an dem er sich heimisch fühlte. Carla kam nun auch öfter zum Unterricht.
    Sie tanzten zu Paul Robeson und Mendelssohns Klavierkonzerten, zu Ray Charles, einem ägyptischen Flötenspieler, dessen Platte Oscar in Alexandria gekauft hatte (und die klang, als ob Vögel

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