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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Ich putze und wische von morgens bis abends, und du wagst es, mir mit West End und Eiscreme zu kommen? Wo ich nicht mal auf meinem eigenen Herd kochen kann? Was ich bisher gesehen habe, hat mich nicht für dieses Land eingenommen, aber eines weiß ich, du hast hier die Möglichkeit, was aus dir zu machen, verstehst du? Aber wenn du glaubst, dass du auf meine Kosten mit dieser Tanzerei rummachen kannst, hast du dich getäuscht.« An dieser Stelle fiel ihr Antoney ins Wort und sagte, er könne sehr wohl für sich selber sorgen, auch ohne die Pharmazie, aber das fand seine Mutter geradezu unverschämt. »Komm auf den Boden zurück«, sagte sie, den Teller noch in der Hand. »Ich hab nicht dieses Boot betreten und den weiten Weg hierhergemacht, damit du als blöder Drachen im Wind treiben kannst.«
    Drei Monate nach ihrem Umzug in die Bassett Road begannen die Unruhen. Der Ausbruch kam weder überraschend, noch war er besonders heftig, das Ganze war vielmehr eine Eskalation schwelender Feindseligkeiten, die durch die Vergeltungsschläge der schwarzen Bewohner noch befeuert wurden. Der Vater der Familie aus Saint Vincent, die im Flur gegenüber wohnte, kam eines Abends spät nach Hause und trug einen Verband am Kopf. Er war auf offener Straße von einer mit Eisenstangen und Flaschen bewaffneten Gang angegriffen worden. »Die weißen Unruhemacher werden immer mehr wie der Teufel«, sagte Sheryl. Florence war während dieser vier Tage, an denen sie das Haus nicht verlassen konnten, in ihrem Zimmer und bügelte unentwegt das hellgraue Kostüm, das sie auf dem Schiff getragen hatte, als ob sie am nächsten Tag gleich wieder an Bord gehen wollte; und wenn sie dort nicht war, dann war sie eine Etage tiefer bei Sheryl, in dem Zimmer mit dem großen Erkerfenster und den vielen Zierdeckchen. Sheryl las zum Zeitvertreib aus der Bibel vor. Wenn die Dämmerung kam, schauten sie aus dem Fenster hinaus auf ihr Viertel, und manchmal sahen sie auch das grellorangefarbene Glühen einer Benzinbombe; davon abgesehen jedoch war es eine Folge leuchtender klarer Abende, an deren Ende die Sonne wie flüssige Gelatine hinter den schwarzen Schieferdächern versank. »Ein schöner Himmel«, sagte Antoney, den Florence nicht aus den Augen ließ.
    »Wo sind wir hier gelandet!«, ignorierte sie seine Worte. Das sagte sie immer wieder, noch Tage und Wochen nach der Rückkehr zu einem unbeständigen Frieden, als sie immer noch furchtbare Angst hatte, hinaus ins Freie zu treten und die Haustür hinter sich zuzuschlagen.
    In mancher Samstagnacht, in einem Haus am Tavistock Crescent, ganz in Oscars Nähe, feierten die Marshall-Brüder ihren Blues. Doch von Blues war an diesen Abenden nichts zu spüren, bis auf kleine, nostalgische Momente. Die Nächte waren schummrig rot und stickig, beseelt von rosa Bowle, weißem Rum und Whisky. Unter der Wohnzimmerdecke hing eine große, leuchtend rote Scheibe, von der Aluminiumperlen regneten und unter der sich eine ungeheure Zahl von Menschen versammelte und bis zum Morgengrauen tanzte, bis alle schwitzten, den Ska im Blut, den Soul im Herzen und den Blue Beat in den Füßen hatten. Die Marshall-Brüder, Coby und John, Junggesellen von Anfang dreißig und stets im Anzug, stammten aus Trinidad. Coby war größer als John. Die Mädchen aber standen auf John, weil er der DJ war. (Es ist eine Art Intuition, wenn ein Mann die richtige Musik im richtigen Moment zu spielen weiß.)
    Antoney war ’62 regelmäßig dort. Er arbeitete, wenn auch nicht in der Pharmazie, sondern im Baugewerbe, und zwar meist auf den nahen Baustellen der neuen Wohnblöcke. Seine Bemühungen um einen Job als Eisverkäufer waren glücklos geblieben, und so hatte er eine Zeit lang bei der Post Briefe sortiert, bis er merkte, dass er allein körperliche Tätigkeiten ertrug. Ihm lag das Heben und Beugen, das Hämmern und Schaufeln. Es war schlecht für die Hände, aber er konnte seinem eigenen Rhythmus folgen. Wenn die Woche vorüber war und die Marshalls zum Tanz riefen, folgte Antoney gerne. Er kam immer erst nach Mitternacht, manchmal mit einem Kollegen, meist jedoch allein, um sich auf das Tanzen zu konzentrieren, und drückte sich im roten Zimmer an eine Wand. Er verfolgte, was Schultern beim Blue-Beat-Swing taten, wie man sich beim Roach oder Twist bewegen kann. Von Prince Buster und Lord Tanamo begleitet, beobachtete er sämtliche Formen des Skankens, der tänzerisch allerneueste Schrei, wobei abwechselnd die Knie angehoben werden und sich der

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