Als würde ich fliegen
prallten zusammen, der Korb neigte sich, und heraus fiel ein Ei, genau auf die schwarz polierten Schuhe. Von den Schuhen erfährt man viel über einen Mann, sagte Toreth immer, wenn sie die Geschichte erzählte. Dein Vater hatte schöne Füße. Er war stolz darauf.
Toreth schnappte nach Luft. »Ach, herrje, oh verflixt, was hab ich bloß getan, oh je!«
Freddy war, seiner Miene nach zu schließen, leicht vergrätzt. Auch auf seiner Hose war Eigelb gelandet, und Toreth rieb wie verrückt mit einem Taschentuch darüber, ohne sich zu vergegenwärtigen, was sie tat. Freddys Freund lachte so heftig, dass sich auch Freddys Laune wieder besserte und er einen Witz riss, etwas wie: »Ich wollte den linken Schuh sowieso schon immer mit einer ganz besonderen Politur behandeln«, was sein Freund wiederum zum Schreien komisch fand. Bald giggelten sie alle drei vor sich hin, Freddy und Toreth beäugten einander und wurden ganz verlegen, und bevor er mit seinem eibefleckten Schuh davonging, fragte er sie noch, ob sie mit ihm nicht irgendwann einen Spaziergang durch den Hyde Park unternehmen wolle. Sie sagte: »Da muss ich erst meinen Vater fragen.«
Carlas Großvater war im Jahr 1929 mit seiner Frau, den drei Kindern und einer Wäscherei im Kopf aus dem walisischen Llandudno nach London gezogen. Eine Wäscherei ist eine sichere Sache, sagte er immer. Ob arm oder reich, Waliser oder Engländer, jeder hat Wäsche zu waschen. Ursprünglich hatte er an eine eher flotte Wäscherei gedacht, in der man eine Tasse Tee und ein Stück Battenbergkuchen bekommen konnte, aber damit war er seiner Zeit wohl doch zu sehr voraus, und so lief es am Ende auf ein durch und durch gewöhnliches Etablissement auf der Scrubs Lane hinaus, das er mit der Härte eines Diktators führte, wie sein Heim. Samstags wurde das Haus geputzt, sonntags in die Kirche gegangen. Toreth war das einzige Mädchen, und auch mit einundzwanzig, als sie Freddy begegnete, durfte sie noch lange nicht mit jedem Hinz und Kunz herumpoussieren. Als es hart auf hart kam, wagte sie es nicht, ihren Vater zu fragen, ob sie mit einem Neger spazieren gehen dürfe, und so traf sie sich heimlich mit ihm, um erst einmal zu sehen, ob er den Ärger wert wäre. War er. Freddy lud sie auf ein Boot ein. »Ich hab keine Ahnung, wie er sich das leisten konnte, Carla, ein Ruderboot im Hyde Park. Das muss ihn ein Vermögen gekostet haben!« Ziemlich genau da verliebte sie sich in ihn. Er war breit und gut gebaut, »so wie ein richtiger Mann eben sein sollte«. Es war der romantischste Moment ihres Lebens, als sie über den See glitten, Freddy in seinem weißen Hemd, sie in einem gelben Kleid. Es fehlte nur noch ein Sonnenschirm.
Zehn Monate später wurde geheiratet, wieder zehn Monate später Carla geboren, ein Kind aus Kriegszeiten. Einmal kehrte Freddy sechs Monate lang nicht nach Hause zurück und Toreth glaubte schon, er wäre tot. Als der Krieg vorüber war, bekam Freddy eine Stelle als Busfahrer. In Carlas ersten Erinnerungen saß sie neben ihrer Mutter auf dem wichtigsten Platz, gleich hinter dem Fahrer, und schaute auf den Hinterkopf ihres Vaters. Am Strand von Blackpool, in Great Yarmouth oder Brighton endeten die Fahrten, und dann konnte Freddy auch den Kopf wieder wenden, Carla hochheben und ihr mit seinen dichten gelblichen Zähnen in die Wangen beißen. Mit ihrer Schmalgesichtigkeit samt großer Augen war sie das Ebenbild ihrer Mutter, aber sie hatte die Zähne ihres Vaters und das dicke Haar der Kariben. In seinen Armen war ihr Lieblingsort, seine Stimme war ihr Lieblingsklang. Als Carla sechseinhalb war, musste ihr Vater eine weite Tour nach Penzance fahren und kam nie zurück. Dezember. Vereiste Straßen. Freddys Bus kollidierte mit einem Lastwagen, der überholte, und rutschte in den Graben; der Fahrer und zwei seiner einunddreißig Insassen kamen dabei ums Leben. Carla hatte in ihrem Nachthemdchen unten an der Treppe gestanden und das seltsame Heulen gehört, das aus dem Wohnzimmer drang. Ihr Vater sei fortgegangen, wurde ihr gesagt. Er sei nun bei den Blumen. Er säße unter einem Birnenbaum im Himmel. »Ist er mit dem Bus dahingefahren?«, fragte Carla einmal ihre Mutter. »Ja.« Toreth fing wieder an zu weinen. »Leider viel zu schnell.«
Als Folge entwickelte Toreth eine Transport-Phobie. Sie bestieg kein Boot, keinen Bus, keinen Zug, nach Möglichkeit nicht einmal den Linienbus, und aus diesem Grund ihr einziges Kind auch nicht (sie hatten es mit einem zweiten wohl
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