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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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und hing an einem groben roten Riemen.
    »Fansa. Spiel den Brukins.«
    Alle schauten zu. Auf Blueys Gesicht erschien wieder Hoffnung, gepaart mit einer Konzentration auf Leben und Tod. Von seiner neuen, stehenden Position nahe der Trommeln aus schaute er ein letztes Mal zu Carla, dann nahm er den Takt auf. Er spielte unbeirrt, umfing die Musik mit seinem konstanten Zeitmaß, lächelte sogar, entblößte zwei Reiher kleiner, nikotinverfärbter Zähne. Die Glocke schallte durch die Fenster und hinauf in den ruinösen Kirchturm. Er vertat sich nicht ein Mal, nicht einmal, als Benjamin schneller wurde. Er hielt mit – dann hielten sie mit ihm mit. Sein klarer Klang war der letzte Ton, er brachte die Musik an ihr Ende. Schweigen herrschte.
    »Er kann den Takt halten«, sagte Fansa völlig verblüfft.
    »Oh ja«, sagte Antoney. »Oh ja.«
    Die Cowbell löste das Apepe-Dilemma. Bluey wurde gebeten, im Ledbury mitzuspielen, mit der Aussicht auf weitere Engagements, sofern es welche gab, und angehalten, am Mittwoch um vier Uhr zurückzukommen. Bevor er wieder hinaus zum Fest ging (leicht über dem Boden schwebend), musste er sich noch Benjamins schroffen Vortrag über die Lehre des Rhythmus-Haltens anhören.
    »Du bist für den Beat verantwortlich, kapiert? Wenn du aus dem Takt kommst, kommt auch ein anderer aus dem Takt. Du kannst alles versauen.«
    Carla formulierte es anders. Sie spürte eine so starke Zuneigung zu dem Neuling, dass man sie jetzt schon Freunde nennen konnte. Seine nervösen Augen sogen sie mit dem Kopf voran in seine meerumrahmten Pupillen. »Du bist der Mittelpunkt«, sagte sie. »Ohne dich, Bluey, denk daran, bricht alles andere weg.«
    »Was für ein außergewöhnlicher Junge«, sagte Simone, als er fort war.
    Nach der Probe schleiften die Jüngeren Oscar, der ohnehin gewöhnlich am Sonntagnachmittag einen Spaziergang unternahm, mit zum Festival. Antoney, Simone, Carla, Ekow und Oscar trieben eine Weile hinter einem Festwagen her, im Gefolge einer Gruppe Jugendlicher in weißen Turnanzügen, mit rot geränderten Schmetterlingsflügeln, die sich von dem unentschiedenen Tröpfeln, das ihre Stirn benetzte, nicht im Mindesten beeindrucken ließen. Carla und Simone tollten herum und tanzten hin und wieder einige ihrer Schritte. Sie tranken Rum und Cola aus Bechern. Ein buntes Volk war unterwegs. Teenager mit ihren schrillen Pfeifen, vollgedröhnte, südländische Studenten in gestreiften T-Shirts, Jamaikanerinnen mit Minikleid und üppiger Frisur, alte Männer, die vor dem Pub ihr Pint schlürften, Verkäuferinnen, Polizisten, die Deserteure der Steel-Bands mit ihren offenen Hemden, eine bekannte Bardame in ihrem berühmten Leoparden-Mantel. In diesem Viertel fanden sich Spuren der Sahara und der Irischen See, vom Panama-Kanal und aus jener Music Box, die Kingston heißt; hier pulsierte das Leben, im Guten wie im Schlechten, eine ordentliche Party war hier ebenso an der Tagesordnung wie ein ordentlicher Streit. Portobello war kein englischer Name. Portobello war eine Schlacht zwischen den Engländern und den Spaniern im Jahre 1739 (und unter dem Asphalt rings um das Notting Hill Gate lagen die Überreste eines anderen Gefechts, die Gebeine römischer Soldaten, denen die Heimkehr aus ihrer Schlacht nicht geglückt war). Die Parade war eine Botschaft an die Krawallmacher mit ihren Eisenstangen, die die Gegend gerne farbbereinigt hätten: Ob’s euch passt oder nicht, sangen die Steel Pans, wir bleiben hier.
    An der Kreuzung Chepstow Road und Westbourne Grove-Antiquitätenmeile gingen Simone und Ekow los und holten sich etwas zu essen, Carla blieb in der Menge bei Oscar und Antoney. Mittlerweile war sie recht rumbeschwingt, doch als Oscar sich abwandte, um mit einem Bekannten zu reden, und sie mit Antoney allein ließ, wurden sie befangen. Sie sprachen beide zur gleichen Zeit und versuchten, sich lässig zu geben. Die Szene mit Bluey hatte Antoney verstört. Normalerweise berührte es ihn nicht, wenn Carla von anderen Kerlen angemacht wurde, aber in letzter Zeit, und er wusste nicht, warum, vermisste er sie, wenn er sie einige Tage lang nicht sah, und fragte sich, was sie wohl gerade machte. Sie war der einzige Mensch, mit dem er reden konnte. Sie hörte zu, ohne ihn zu verurteilen, streichelte ihm auf ihre so selbstverständliche Art über die Schulter oder strich ihm ebenso sanft und verständnisvoll über den Hinterkopf, wie sie es heute mit Bluey getan hatte. So jemand täte ihm gut, jemand, der lieb und

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