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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Grunde war sie ein kleinbürgerliches Mädchen mit einem sehr konventionellen Wunsch nach Sicherheit und Beständigkeit. Vor ein paar Tagen hatte er sich noch im Bus mit den anderen über die Ehe unterhalten. Ihr Schweigen hatte regelrecht von hinten gegen ihn gedrückt, als er – aufgrund des allgemeinen Alkoholkonsums vielleicht etwas heftiger, als es eigentlich gemeint war – gesagt hatte: »Die Ehe ist nichts Natürliches. Da klammern sich zwei Menschen aneinander, weil sie Angst vor der Welt und sich selbst haben. Und das kommt von der Tradition. Sie schreibt uns vor, was wir tun sollen, und das aus dem einzigen Grund, weil es immer so war.«
    »Aber man kann doch auf verschiedene Weise verheiratet sein«, hatte Rosina eingeworfen, worauf Fansa gescherzt hatte: »Ich kenne nur eine – und die ist dornig und steinig!« Fast jeder hatte zu dem Thema etwas zu sagen, nur Carla hatte die ganze Zeit geschwiegen, mit dem Gesicht zum Fenster. Antoney fürchtete sich davor, gefangen zu sein, so wie Oscar es während seiner Ehe empfunden hatte, weniger zu werden, festgenagelt zu sein, sich im anderen aufzulösen. Er wäre gefährdet. Er würde sich aufgeben, und das wollte er nicht.
    Mit einer tiefen Sorgenfalte auf der samtigen Stirn schaute er sehnsüchtig auf die Boote, die am Ufer der Gracht vertaut waren. Die Decks flackerten unter ihren Lichtern, aus den beschlagenen Schiffsfenstern leuchtete ein Gefühl von Frieden und Ruhe. Ein Boot glitt durch das tiefblaue Wasser und zog eine Spur reinsten Silbers hinter sich her. Wie richtig, wie richtig und groß musste so ein Leben sein, ein Leben in Einsamkeit, losgelöst von allen Lasten und Bindungen des Festlands, ein Leben in der Freiheit, jederzeit weiterzuziehen, ohne einem anderen Rechenschaft zu schulden. Keine Tänzer, die einfach abhauten. Keine Frau, die nach der Ehe jaulte.
    »Hey, Ric«, rief er über die Straße, »was glaubst du, kostet so’n Kahn?«
    Am nächsten Morgen brachen sie zu ihrer großen Show in Hamburg auf, zu einer sechsstündigen Fahrt über die deutsch-holländische Grenze hinweg. Der Verlust von Milly hatte allem einen Dämpfer aufgesetzt. Ekow und Antoney hielten sich so weit wie möglich voneinander fern, Antoney hockte vorne unter seinem Hut, Ekow hinten, mit Simone im Arm. Carla saß auf ihrem Stammplatz und fühlte sich ausgesprochen elend. Selbst Fansa und Benjamin waren still. Nur The Wonder war gut drauf, er war wach und vital, beseelt vom Ingwer, einem langen Schlaf und davor einigen Versen aus dem Dhammapada . Am Steuer war er in seinem Element. Er behielt die Benzinuhr im Auge, tankte, wenn nötig, aber natürlich war er kein Mechaniker, und so versäumte er es auch, dem mittlerweile tiefschwarzen Rauch, der hinten aus dem Bus quoll, und dem immer schrilleren metallischen Kreischen, das damit einherging, die nötige Beachtung zu schenken. Die Route führte über sonnengescheckte Landstraßen, vorbei an Deichen und hügeligen Weiden. Als sie an einem Feld irgendwo zwischen Oldenburg und Bremen hielten, damit sich alle erleichtern konnten, gab der Bus den Geist auf. Als The Wonder die Zündung betätigte, war ein vergebliches Husten die Antwort. Sie waren meilenweit von allem entfernt, hier gab es bloß Felder, Bäume, leere Straßen und Telefonleitungen, die sich bis zum Horizont erstreckten.
    »Warum halten wir?«, fragte Antoney, der aus seinem Schlaf erwachte.
    Simone klärte ihn auf. Ricardo, Bluey und Ekow frickelten vorne am Bus herum, Rosina holte die Kamera hervor. Carla sah mit wachsender Panik zu. Sie sollten um vier Uhr im Theater sein, und es war fast Mittag, aber das war die geringste ihrer Sorgen. Sie hatte viel größere Angst davor, in ihrem Zustand mitten im Nirgendwo zu stranden, wo es keinen Schutz außer einem Zelt und einem Bus gab.
    Antoney kam hinaus auf die Straße. Ein sanfter Wind rollte durchs Gras. »Was ist denn los? Wir müssen weiter.«
    »Im Moment geht’s nicht weiter«, informierte ihn Ekow. »Der Motor ist platt.« Ricardo und The Wonder machten sich auf, in den nächsten Ort zu trampen und Ersatzteile zu besorgen.
    »Aber das kann Stunden dauern«, sagte Antoney.
    »Hast du eine bessere Idee?«
    Antoney starrte blöde unter die Motorhaube. Er konnte nicht einmal Bremsflüssigkeit von einem Keilriemen unterscheiden. »Ric, solltest du das Teil nicht in Schuss halten?«
    »Schieb’s jetzt nicht auf mich, das konnt ich nicht ahnen. Ist halt ein alter Motor.«
    »Und Schuldzuweisungen bringen

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