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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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Verstand verloren hatte.
    Noch bin ich nicht darauf gestoßen, sagte sie, aber hier irgendwo ist es, das weiß ich.
    Wissen Sie, wie das Gebäude aussieht?
    Sie antwortete, es habe eine weiß gekalkte Front, und falls er so was sähe, würde er’s ihr bitte sagen? Dann sah sie zum ersten Mal auf, und er bemerkte mit Entsetzen, dass ihre Augen eingesunken, wie zwei schwarze Höhlen waren. Sie bot ihm etwas zu essen an. Ein starker Wind trieb ihn langsam auf sie zu.
    Nein, danke, Mrs. Gates, sagte er und wich zurück. Ich muss weiter.
    Wie du meinst, sagte sie achselzuckend. Aber auch du solltest auf deine Adresse achtgeben. Wir wollen ja nicht, dass du dich auch verirrst. Dann säßen wir beide in der Patsche!
    Es war ihnen selber nicht bekannt, doch das Midnight Ballet hatte in Dänemark zahlreiche Anhänger. Schon vor ihrer Ankunft prangten ihre Bilder in den Zeitungen, und in Kopenhagen wurden sie im Theater von einer Traube begeisterter Tanzliebhaber empfangen, einige hatten sogar Blumen dabei. Am Ende der letzten Show, der eine einst von Natur aus blonde Baronesse namens Kristine Ploug zwei Abende lang vom Balkon aus zugesehen hatte, wurden sie zu einer privaten Aufführung in ihr »Haus« gebeten, das nördlich von Kopenhagen auf der wunderschönen Insel Seeland vor der Küste des Kattegat lag. Das Haus erwies sich als Schloss. Die Baronesse, eine Witwe, lebte dort alleine mit ihren Angestellten und manchmal auch mit Nichten und Neffen. Sie war eine sinnliche Frau mit schnellen Reflexen und einer machtvollen Präsenz und bestand darauf, dass die Truppe blieb und einige Tage lang ausspannte, weil sie so furchtbar gerne von so schönen jungen Tänzern umgeben war, besonders von Antoney, in ihren Augen ein Genie.
    Man kam zu ihr über eine Schotterallee und am Ende einer Anhöhe über eine weitläufige Auffahrt mit atemberaubenden Ausblicken in die Landschaft. Das Schloss hatte ein kupfernes Dach, drei Türme am Nordflügel und hohe Fenster, die auf einen saftigen, gepflegten Rasen schauten, eine umzäunte Weide, auf der zwei Pferde lässig im rauen Ostseewind mit dem Schweif schlugen, und im Süden auf einen dichten Wald, der in einen Privatstrand überging. In dem Gebäude gab es mehr als dreißig Räume, die in satten Rot-, Violett- und Senftönen dekoriert waren, und einen mit Korbmöbeln ausgestatteten Wintergarten mit Glasdach (in jenen Tagen selten ungenutzt), der hinaus auf einen wunderschönen Garten führte. Die Baronesse hatte ihr ganzes Leben hier gelebt, sagte sie. Sie fand es so wundervoll, sie hatte nicht fortziehen können. »Aber wo ist Ihr Mann?«, fragte Fansa. »Sie wollen mir doch nicht einreden, eine schöne Frau wie Sie lebt ganz allein hier?« »Doch, ich fürchte ja.« Die Baronesse war sichtlich geschmeichelt. Sie sprach mit gutturalem dänischem Singsang. »Obwohl viele Besucher zu mir kommen, aus Amerika, Russland, England, der ganzen Welt, so wie ihr wunderbaren Darlings auch. Ich bin so froh, dass es mir gelungen ist, euch zum Bleiben zu überreden.«
    Simone fand ohnehin, dass dies die richtige Unterbringung und der Standard war, der schon während der gesamten Tour angemessen gewesen wäre, und genoss es in vollen Zügen. Alle waren beschwingt, zufrieden, wie Kinder, die man in einen ganz erstaunlichen Hort gesteckt hatte, aber niemand war dankbarer als Carla, die immer noch von Antoneys Ausraster traumatisiert war. Sie war so erleichtert, dass sie nach der allerletzten Show in dem luxuriösen Schlafzimmer, das man ihnen zugewiesen hatte, den Kopf auf ein Kissen aus ägyptischer Baumwolle betten konnte, dass sie neunzehn Stunden am Stück schlief. Als sie wach wurde, saß Antoney auf dem Bett und betrachtete sie.
    Am Abend hielt die Baronesse in ihrem riesigen Esszimmer ein pompöses Diner ab. Das Porträt ihres verstorbenen Vaters samt seinem Hund nahm eine ganze Wand ein. Die Truppe war guter Stimmung; all der Komfort ringsum, die warmen Farben, die Kerzen, das üppige Essen und die Aussicht auf keine weiteren Shows hatten die Fronten beruhigt. Selbst Antoney und Ekow gingen zivilisiert miteinander um. Am Tisch fanden mehrere Unterhaltungen gleichzeitig statt, über die Tanzszene in Dänemark, Ailey’s Compagnie, die Ballets Nègres und den zeitgenössischen Tanz in Großbritannien. Carla trug nur wenig bei, sie badete in dem Gefühl, Antoney nahe zu sein; ihre Schultern berührten sich, einmal legte er sogar seine Hand auf ihr Bein. Seit jenem Abend war er sehr still. Er war bei

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