Als würde ich fliegen
mich verändere – ich werde schließlich fett und plump und so was alles –, vielleicht empfindet er dann anders. Und auch er wird sich ändern müssen. Ich hab das Gefühl, ich zwinge ihn zu etwas.«
Bluey schaute sie missbilligend und verwirrt an und suchte nach seinen Zigaretten. In dem Augenblick sah er umwerfend aus, mit seinen machtvollen Augen und den sommersprossigen Wangen. Carla fiel wieder einmal auf, wie attraktiv er war. »Sollte er dich nicht akzeptieren, egal, wie du bist?«, fragte er. »Na, geht mich nichts an, solange er dich gut behandelt. Aber er hätte inzwischen selbst drauf kommen müssen, ohne dass du ihn drauf stoßen musst.«
»Bist du auch nicht«, sagte Carla.
»Ich bin ja nich dein Macker.«
Eine Frau betrat den Platz. Sie erinnerte Carla und Bluey daran, dass sie immer noch mitten in Paris waren. Sie nickte ihnen zu, dann ging sie ernst an der anderen Seite des Blumenbeets vorbei. Sie war um die vierzig, hatte Blueys dunkle Locken, trug einen schwarzen Mantel und Pumps und war von einer Aura aus Einsamkeit umgeben.
Carla fragte Bluey, ob er selbst einmal Kinder haben wolle. »Das hängt von vielen Dingen ab«, sagte er und fügte auf ihr Drängen hinzu: »Von den Umständen und so. Den Bomben.«
»Den Bomben? Warum hältst du dich mit den Bomben auf?«
»Weil die Bomben uns alle töten werden. Da reicht ein Irrer, ein Knopf, und das war’s. Sie werden über Vietnam eingesetzt, und hier auch eines Tages. Ich weiß nicht, ob ich Vater sein will, wenn mein Winzling doch nur in die Luft gejagt wird.«
»Gott, ist das deprimierend.«
»So ist die Welt.«
Als Bluey seine Zigarette beendet hatte, näherte sich die Frau und fragte ihn auf Französisch, von vielen Gesten begleitet, ob er eine übrig habe. »Klar, sicher«, sagte er. Sie beugte sich, um sich Feuer geben zu lassen. Sie richtete sich wieder auf, blieb einige Züge lang vor ihnen stehen und schaute auf sie hinunter. Sie betrachtete Carla sehr ernstlich durch den Rauch hindurch. Dann, als ob sie nun mit etwas zufrieden wäre, sagte sie Au Revoir und ging langsam wieder in Richtung Straße.
»Es hängt auch von der Familiensituation ab«, fuhr Bluey fort. »Ich mag Familien nicht. Sie sind gefährlich – zu viele Leute im Dunst der Launen anderer.«
»Ich schließe daraus, in deiner Familie war es so?«, sagte Carla.
»Bei dir nicht?«
Sein Gesicht hatte den düsteren Ausdruck angenommen, den Carla manchmal während der Proben sah, wenn die Cowbell Pause hatte und Bluey in Gedanken versunken dasaß und wartete, oder wenn es Streit gab. Seine Augen erloschen. Er schien abwesend. In solchen Momenten ging sie manchmal zu ihm und kitzelte ihn. Diesmal nicht. Er hatte bisher kaum über seine Familie gesprochen.
»Bist du deshalb weggelaufen? Wegen der Launen?«
»Vielleicht«, sagte er schon wieder fröhlicher. »Aber vielleicht hab ich auch einen Vogel in einem Ballkleid gesucht.«
»Du bist ein seltsamer Junge, Bluey Ellis, weißt du das?«, sagte Carla, als sie den Platz verließen. »Ich wüsste wirklich gerne, was in deinem Kopf vorgeht.«
Zurück ging es über die Champs-Elysées, mit bauschigem Rock, ihr Arm in seinen eingehakt, und sie überragte ihn nur ein wenig.
Nach Paris fand Carla keinen zweiten Kleopatra-Moment. Ihre Herabstufung in »Blues House« errichtete eine Wand zwischen ihr und Antoney, verstärkt durch sein Einvernehmen mit Simone, das Carla als Indiz für eine Affäre genommen hätte, hätte Simone nicht etwas mit Ekow gehabt. Die ständige Bewegung versetzte Antoney in einen Freudentaumel, das Fahren und Tanzen und Packen und Fahren, vorbei an den sonnengetrockneten Hügeln bei Reims, durch kleine Provinzstädte, wo die Leute auf der Straße stehen blieben und den goldgeflügelten Bus bestaunten, der mit schwarz rauchendem Auspuff vorüberfuhr. Die Luft im Bus war schwer vom Geruch nackter Männerfüße. Zum Zwecke der eigenen Belustigung tranken Fansa, Ricardo, Rosina und Antoney Opfer-Rum und diskutierten immer lauter über Themen wie Kricket, die Ehe, die Echtheit der Bibel, den Charme der französischen Mädchen und die Ermordung von Malcolm X. Alle übrigen waren sehr erleichtert, wenn sie am Ende einer jeden Reise von Bord gehen konnten. Simone äußerte, sie habe noch gar nicht gewusst, wie entsetzlich Männer stinken konnten. Und wie üblich war Antoney weit weniger jovial, wenn der Bus zum Stehen kam.
Von Amsterdam war er besonders enttäuscht. An diesem Teil der Reise, an dessen
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