Als würde ich fliegen
sagte The Wonder. Dann wurde er wieder ernst und ergänzte: »Aber behalt das für dich. Ist das klar? Ich werde sehr wütend, wenn du das weitererzählst. Kapiert?«
»Kapiert, Mann, verstehe.«
»Gut.«
The Wonder stützte sich auf die Ellbogen und kehrte zu Antoneys heikler Frage zurück.
»Meine Frau hat mich verlassen«, sagte er. »Wegen einem anderen.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich war damals ein junger Kerl, so gut aussehend wie du. Vielleicht hat sie sich gelangweilt, keine Ahnung.« Er stampfte mit dem Fuß auf, um eine wollige Spinne zu verscheuchen. »Sie fand meinen Beruf nicht männlich genug.«
»Was, das mit dem Feuer?«
»Genau. Kannst du dir was Männlicheres als Feuerschlucken vorstellen?«
»Habt ihr Kinder?«
Eine Tochter, sie lebte bei ihrer Mutter in Portugal. The Wonder sah sie gelegentlich, wenn er das Geld dazu hatte. Antoney fragte vorsichtig: »Hat das was für dich verändert, Vater zu sein?«
»Du hast heute Morgen aber viele Fragen. Natürlich hat es das. Alles verändert sich, es sei denn, man wär aus Stein.« Er schaute zu Antoney. Dann sagte er mit der gleichen Umsicht, in seiner warmen, luftigen Stimme: »Mir war wohl schon aufgefallen, dass sie irgendwie anders aussieht. Ihr Gesicht ist rosiger.«
Antoney stand auf und ging zum Wasser.
»Ach so, du bist gar nicht begeistert! Ist es so schrecklich?« The Wonder stand auch auf. »Wohin gehst du?«
Antoney ignorierte seine Rufe. Er näherte sich der Mole und durchwühlte seine Taschen nach Zigaretten. Er nahm eine zerdrückte Pall Mall heraus, hatte aber kein Streichholz. The Wonder holte ihn ein. »Hast du mal Feuer?«
»Nein, hab ich nicht, und du solltest das sowieso lieber lassen. Willst du Lungenkrebs bekommen?«
»Kannst du mit diesem Scheiß mal aufhören? Du bist doch nicht mein Vater! Was zur Hölle geht’s dich an, ob ich rauche oder nicht?«
»Es geht mich nichts an«, sagte The Wonder. »Gar nichts.« Er wich zurück und marschierte davon, was Antoney auch nicht recht war.
»Wissen hier alle Bescheid?«, rief er. »Komm zurück!«
»Sag bitte.«
»Sag was?«
The Wonder drehte sich um, seine sehr weißen Turnschuhe mit ihm. »Sag bitte.«
Wieder war Antoney hin- und hergerissen, ob er lachen oder ihn schlagen sollte. Er lachte, eine Viertelsekunde lang. »Du bist irre.«
»Du auch.«
»Gott.« Er bereitete sich darauf vor. Es widerstrebte ihm. »Bitte.« Und schon schlenderte The Wonder zurück, in sehr gesprächiger Stimmung. »Demut ist etwas Wunderbares. Meiner Meinung nach viel beeindruckender als Männlichkeit. Es spielt keine Rolle, wer sonst noch Bescheid weiß. Ich hoffe, du hast sie nicht unglücklich gemacht. Sie ist eine großartige Frau.«
»Ich bin für so was nicht bereit, The Wonder. Ich will nicht, dass mein Leben klein wird.«
»Ich möchte dir mal eine Frage stellen. Jetzt bin ich dran. Komm mit.«
Er ging an ihm vorbei und trat auf die Mole. Antoney folgte nach einigem Zögern. Sie gingen den halben Weg hinaus, bis The Wonder stehen blieb; zu beiden Seiten wogten die Wellen.
»Also«, sagte er. »Was siehst du am Ende der Mole? Sieh bis zum Ende.«
»Das Meer. Was soll das?«
»Ja, ja, natürlich das Meer. Aber stell dir mal vor, dass die Mole so was wie ein Lebensweg ist. Und darauf liegen deine Kindheit, deine Träume, prägenden Erfahrungen, deine Leidenschaften, dein Beruf. Der kleine Kreis da hinten am Ende, nur mal für diesen Zweck – nur für eine Minute, Antoney, du brauchst nicht so zynisch zu sein –, ist eine Bühne, okay? Aha, jetzt hab ich dich! Und auf dieser Bühne befinden sich all die Dinge, die neben deinen Träumen und Leidenschaften auch noch existieren müssen, Liebe, Freundschaft, Familie, Beistand. Also sag mir, was siehst du am Ende der Mole?«
»Okay, ich seh einen Tanz.«
»Und wer tanzt?«
»Ich.«
»Ganz allein?«
»Ja.«
»Ist niemand bei dir? Sieh genau hin.«
Antoney trat vor und schaute hin. Das Bild blieb gleich. »Da ist niemand. Ich versteh ja nicht mal, was du meinst.«
»Nun, wenn da nichts anderes ist«, sagte The Wonder bedeutungsschwer, »werde ich für dich beten, denn du wirst, bis zu dem Tag, an dem du über diese Wand dort hinaus in deinen Tod stürzt, alleine sein.«
Er betrachtete Antoney aus einigem Abstand heraus mit solcher Traurigkeit, mit so viel Mitleid und Enttäuschung, dass sich Antoney umdrehte und verunsichert noch einmal hinaus auf die Mole sah. The Wonder war schon auf dem Rückweg zum Ufer. Es war seltsam,
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