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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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dann durch den Küstenwald, der gespenstisch, aber nicht unangenehm war. Aus hohen blauen Bäumen flogen die Geschöpfe der Morgendämmerung auf. Antoney schaute auf die Krone einer elfenbeinfarbenen Birke, als wüsste sie alle Antworten. Er folgte dem Klang der See, und schließlich kam er zur Privatbucht der Baronesse. Die See muss dir immer offenstehen , hörte er seinen Vater sagen. Man braucht ein Stück Meer zwischen den Zeiten, den Jahren und den Monaten.
    Und wie weit und groß die Erde war! Der Himmel hier draußen war grenzenlos, durchzogen von Bahnen aus leuchtendem Morgenweiß. Die Sonne erschien hinter den violetten Bergen am Horizont und goss einen öligen Film auf das Wasser. Er fühlte sich besser. Er warf die Schuhe von sich, ging ans Ufer und ließ sich von der kühlen Ostsee die Füße umspülen. Etwa zweihundert Meter links von ihm ragte eine schmale Mole ins Meer. An ihrem Ende stand eine kreisförmige Wand aus Steinen, an der sich die Wellen brachen. Erst, als er im Sand saß und hinüber zur Mole schaute, bemerkte Antoney, dass noch jemand am Strand war, ein Mann. Er trug ein wadenlanges Dashiki, Jeans und unglaublich weiße Turnschuhe. The Wonder. Er trieb in Antoneys Richtung und hob den Arm zu einem fröhlichen Gruß.
    »Was für ein wunderbarer Tag!«, rief er. Als er näher kam, sagte er: »Ich gehe wahnsinnig gern bei Sonnenaufgang spazieren. Das ist die schönste Tageszeit.«
    Antoney sagte nicht viel, er war nicht in Plauderstimmung.
    »Ach, komm«, sagte The Wonder. »Was ist denn jetzt schon wieder los? Hast du schlecht geschlafen? Ich hab wie ein Baby geschlafen. Es ist einfach großartig hier.«
    »Es ist ganz okay«, sagte Antoney lustlos.
    »Wer hätte gedacht, dass wir eines Tages in einem Schloss übernachten würden? Weißt du, woran mich das hier erinnert, Antoney?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Das erinnert mich an einen Ort in Portugal, an dem ich mal war. Ich hab da mit meiner Frau Urlaub gemacht, wir haben im Haus eines Verwandten gewohnt – ich erinnere mich nicht mehr, wie die Stadt hieß, das ist viele, viele Jahre her. Aber vom oberen Fenster aus konnte ich ein sehr beeindruckendes Gebäude sehen, dem hier ziemlich ähnlich, mit einer Bucht, genau wie hier. Vielleicht war es ja Vorhersehung, oder?« The Wonder beugte sich vor und gab Antoney einen Knuff. »Vielleicht hat uns das Schicksal ja hier hergeführt … Mein Freund, du siehst heute Morgen nicht gut aus. Bist du krank?«
    »Hör zu, ich hatte eine harte Nacht. Mir ist nicht nach Gesellschaft.«
    »Ich wollte dir das längst schon mal sagen, Antoney, ich finde, du solltest weniger trinken.«
    »Was heißt das? Ich hab nichts getrunken.«
    »Wirklich? Gut … gut. Nun, die Shows sind vorbei. Du kannst dich jetzt entspannen.«
    Sie schwiegen eine Weile und schauten aufs Meer.
    »Wo ist deine Frau heute, Wonder?«, fragte Antoney.
    »Lass uns erst einmal ein anderes Problem klären. Warum sprichst du mich bis zu diesem Tag nicht mit meinem richtigen Namen an? Es ist wichtig, einen Mann bei seinem korrekten Namen zu nennen. Wie fändest du es denn, wenn ich dich Anthoney nennen würde, wie die Amerikaner? Das würde dir auch nicht passen … Ach, jetzt setz dich, Junge, ich bin nicht wütend.«
    »Warum ist das so wichtig für dich?«, fragte Antoney. »Wonder ist doch nicht – verdammte Scheiße, The Wonder ist doch sowieso nicht dein richtiger Name, oder? Oder bist du mit dem Namen geboren worden?«
    »Darum geht es nicht.«
    »Wie heißt du denn richtig?«
    »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Warum nicht? Na komm, vielleicht bekomm ich’s dann ja hin.«
    »Wie lautet dein Name?«
    »Du weißt doch, wie ich heiße.«
    »Wie heißt dein Vater? Deine Vorfahren?«
    »Er heißt … Der Name meines Vaters war – Rogers … Ich bin nicht sicher. Ich trag den Namen meiner Mutter.«
    The Wonder sah ihn fragend an. Irgendetwas stimmte nicht. Antoney konnte ihm nicht in die Augen sehen, und plötzlich genierten sie sich voreinander.
    »Also, wie heißt du?«
    Den Blick stur nach vorne gerichtet, sagte The Wonder leise: »Brian.«
    »Brian?«
    »Findest du das komisch?«
    »Nein, nein – ich hatte nur etwas anderes erwartet. Wie lautet dein Nachname?«
    »Meinen Nachnamen musst du nicht kennen.«
    »Ist jemand hinter dir her, The Wonder? Siehst du, ich sag doch, das hilft.« Nun knuffte Antoney ihn, das Carla-Problem so gut wie vergessen.
    »Ich bin froh, dass wir endlich das gewünschte Ziel erreicht haben«,

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