Als würde ich fliegen
doch diesmal sah Antoney etwas anderes. Dort auf der Bühne stand plötzlich ein anderes Bild, eine alte, sehr alte Erinnerung. Er war mit seiner Mutter und seinem Vater am Strand von Annotto Bay, dort waren sie immer schwimmen gegangen. Alle drei schauten nach unten. Seine Mutter sagte: Siehst du die lustige Krabbe, Antoney? Das schwarzäugige Geschöpfchen flitzte auf dem Sand hin und her. Warum läuft sie so komisch?, fragte Antoney. Sein Vater erwiderte: Weil sie zu viele Füße hat, was seine Mutter noch komischer als die Krabbe selbst fand. Über ihnen, auf der Steinmauer, saß Carla in ihrem scharlachroten Kleid und sah hinaus auf die glitzernde See. Das Bild auf der anderen Seite der Bühne, dort, wo er tanzte, war nun ebenso durchscheinend blass wie das neue.
»The Wonder, so warte doch!«, rief er. »Woher weiß ich, welches Bild das richtige ist?«
»Du kannst es nicht wissen«, rief The Wonder zurück, und sein Dashiki wehte im Wind. »Dafür bist du noch zu jung. Hat dir das niemand gesagt?«
Ich bin ein selbstsüchtiger Mensch, schrieb Antoney an Riley. Ich habe immer nur an mich und meine Wünsche gedacht und dabei übersehen, was mir andere geben. Carla hat gestern gesagt, wir seien der Natur unterworfen und müssten dem Gang der Dinge folgen, dem Weg, der uns bestimmt ist, darin läge der Sinn. Und das werde ich tun – außerdem liebe ich mein Mädchen.
Die Baronesse war vollkommen überwältigt, als sie von Antoneys und Carlas Verlobung erfuhr. Nachdem sie alle beide abwechselnd und mehrfach auf die Wange geküsst hatte, erzählte sie, sie habe vor fünf Jahren die Hochzeit ihrer Tochter auf dem Anwesen ausgerichtet, und dabei weinte sie immer noch vor Rührung. Erst schlug sie es vor, dann bestand sie zunehmend darauf, dass auch sie beide dort heiraten sollten. Sie hatten doch alles Nötige beisammen, oder nicht? Sie selbst könnte arrangieren, was immer sie wollten, das Essen, das Kleid, die Ringe, Musik. Sie hatten doch sogar schon eine Fotografin, war es nicht, als ob es so kommen sollte ? Oh, bitte, Darlings, kein Zeitpunkt ist besser als das Jetzt, um eine Liebe zu festigen, und nichts würde sie lieber sehen, als wenn sie beide das Ehegelübde in ihrem Garten sprechen würden. Und während sie diese absurde Idee zusammenschusterte, mischten sich immer weitere Stimmen ein, Rosina, Fansa, Ricardo, alle bestürmten sie, fanden den Vorschlag toll, selbst Simone sagte, warum denn nicht, also ich täte es. Die einzige Person, die sich überhaupt nicht begeistert äußerte, war Bluey. Sein Blick suchte nervös nach Carlas Augen.
An Carla war, im Vergleich zu Antoney, mehr Überzeugungsarbeit zu leisten. Es war wegen ihrer Mutter. Sie konnte nicht ohne ihre Mutter heiraten! Das wäre zu schrecklich, nein, das ging nicht. »Nun, das verstehe ich«, sagte Kristine. »Natürlich. Aber gar kein Problem. Wir fliegen sie her.« »Meine Mutter fliegt nicht«, sagte Carla. Es war unmöglich. »Dann sprich mit ihr«, drängte die Baronesse. »Sprich mit deiner Mutter und sieh, was geschieht. Vielleicht gibt sie dir ja ihren Segen …«
Toreth war in Tränen aufgelöst. Sie saß auf der Harrow Road in ihrem Mietwohnungswohnzimmer im dritten Stock und sehnte die Rückkehr ihrer Tochter herbei, umgeben von der unruhig blattgemusterten Tapete und Frank Sinatra im Radio, während Carla, ebenfalls in Tränen aufgelöst, an der Küste des Kattegat auf einer Chaiselongue mit Walnussfüßen saß. Toreth sagte, Carla sollte die Einladung der Baronesse Wie-auch-immer-sie-hieß annehmen, wenn das ihr Glück sei und, wichtiger noch, wenn sie sich absolut sicher sei (denn Toreth war es nicht), dass Antoney der Richtige für sie sei und dass sie, Toreth, nicht einmal im Traum daran denken würde, ihre Tochter daran zu hindern, nur weil sie nicht fliegen wollte – Hauptsache, sie bekäme hinterher die Fotos. Nach weiterer Überlegung und schwindendem Widerstand entschied Carla, es geschehen zu lassen, dem Gang der Dinge zu folgen. Die Hochzeit war beschlossene Sache.
Im Schloss brach ein Wirbelsturm los. Es war Dienstag. Die Hochzeit sollte am Samstag stattfinden. Jeder Winkel, jedes Fenster, jedes Messer und jede Gabel wurden auf Hochglanz poliert. Die Baronesse kümmerte sich um die Einladungen, die Blumen, die Begutachtung des Pavillons im Garten, wo die Zeremonie stattfinden sollte. Ekow bekam endlich seine Gelegenheit, ein Stück zu choreografieren, ein Duo, das er mit Simone zu einem Gospel tanzen wollte,
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