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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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victis! besteht; in diesem Kalkül, das er Wille nannte, sah er jedoch das Übel schlechthin und stopfte die ganze Welt samt den Sternen damit aus. Er sah nicht, daß der Wille eine Wahl voraussetzt; hätte er das begriffen, so hätte er die Ethik jener Prozesse verstanden, aus denen die Arten entstanden sind und damit auch die Antinomien eurer Erkenntnis; er wies jedoch Darwin zurück, denn behext von der düsteren Majestät des metaphysischen Übels, das ihm eher mit dem Zeitgeist in Einklang zu stehen schien, griff er nach einer allzu weitgehenden Verallgemeinerung und vermengte Himmels- und Tierkörper in einem. Es ist natürlich immer leichter, ein gedachtes Schloß zu öffnen als ein wirkliches, aber andererseits ist es auch leichter, ein wirkliches Schloß zu öffnen als es zu finden, wenn noch keiner etwas von ihm weiß.
    DOKTOR CREVE: Wir sprachen damals über Einstein.
    GOLEM: Richtig. Er ist an dem hängengeblieben,was er in jungen Jahren konzipierte und womit er dann ein anderes Schloß zu öffnen versuchte.
    STIMME AUS DEM SAAL: Du meinst also, Einstein habe sich geirrt?
    GOLEM: Ja. Das Genie ist für mich das interessanteste Phänomen eurer Gattung, allerdings aus anderen Gründen als für euch. Es ist ein weder gewolltes noch bevorzugtes Kind der Evolution, denn da es zu selten vorkommt, ist es für das Überleben der Gesamtpopulation allzu unbrauchbar, und so unterliegt es nicht der natürlichen Auslese, der Selektion vorteilhafter Merkmale. Beim Kartenausteilen kommt es, wenn auch selten, vor, daß ein Spieler eine vollständige Farbe erhält. Beim Bridgespiel bedeutet das, daß er gewonnen hat, aber bei vielen anderen Spielen ist eine solche Verteilung, obwohl sie ungewöhnlich ist, wertlos. Die Distribution der Karten hängt – und darauf kommt es an – in keiner Weise davon ab, zu welchem Spiel die Partner zusammengekommen sind. Übrigens hofft auch beim Bridge der Spieler nicht darauf, daß er eine vollständige Farbe erhält, denn die Spieltaktik kann sich nicht auf ungewöhnlich seltene Ereignisse stützen. Ein Genie entspricht nun dem Fall, daß man eine Farbe in der Hand hat, zumeist bei einem Spiel, bei dem eine solche Verteilung nicht gewinnt. Das hängt damit zusammen, daß der Unterschied zwischen einem Durchschnittsmenschen und einem Genie sehr klein sein muß, nicht an ihren Leistungen gemessen, sondern am Aufbau ihres Gehirns.
    STIMME AUS DEM SAAL: Warum?
    GOLEM: Weil große Unterschiede im Aufbau des Gehirns nur hervorgehen können aus dem Zusammenwirken einer ganzen Gruppe von Genen, die seit einer Reihe von Generationen in einer Population vorkommen,von überwiegend mutierten, also neuen Genen, so daß ihre Manifestation in den Individuen bereits gleichbedeutend ist mit der Entstehung einer neuen Unterart der Gattung, die sich weitervererbt und nicht mehr rückgängig zu machen ist; Genialität aber vererbt sich nicht und verschwindet spurlos. Das Genie entsteht und vergeht wie eine hohe Welle, die durch die zufällige Verstärkung einer Reihe von kleinen interferierenden Wellen aufgetürmt wird. Das Genie hinterläßt Spuren in der Kultur, nicht aber im Genbestand der Population, da es aus einem außergewöhnlichen Zusammentreffen ihrer gewöhnlichen Gene hervorgeht. Es bedarf daher nur einer geringfügigen Umorganisation des Gehirns, um von der Durchschnittlichkeit zum Extremen zu gelangen. Der Mechanismus der Evolution ist gegenüber diesem Phänomen doppelt ratlos: er kann es weder vervielfältigen noch stabilisieren. Schließlich müssen in dem Genpool einer Gemeinschaft, die während der letzten vierhunderttausend Jahre auf der Erde existiert hat, nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung in periodischen Abständen individuelle Genkonfigurationen entstanden sein, deren Ergebnis geniale Individuen vom Range eines Newton oder Einstein waren, wovon aber ohne jeden Zweifel die Horden nomadisierender Jäger nichts gehabt haben können, denn diese rein potentiellen Genies haben ja nicht ihren latenten Fähigkeiten entsprechend wirken können, da sie nahezu eine halbe Million Jahre von der Entstehung der Physik und der Mathematik trennte. So sind denn auch ihre Fähigkeiten zugrunde gegangen, ohne sich vorher entfaltet zu haben. Zugleich ist es nicht möglich, daß diese verkümmernden Gewinne in der Lotterie der Nukleinverbindungen in hartnäckigem Warten auf die Entstehung der Wissenschaft angefallen sind. Man sollte sich daher schon einige Gedankenüber dieses Phänomen machen. Das

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