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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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überhaupt, so muß die Sache von der Philosophie oder der Theologie verhandelt werden, die, im Gegensatz zur Wissenschaft, welche die Welt nimmt, wie sie ist, der Frage nachgehen, ob sie nicht anders sein könnte. Mit mir ist die abgewiesene Anklage jedoch wieder auf dem Tisch.
    Wie ist es denn nun: Bin ich eine bloße Intention, oder spricht zu euch die menschenleere Öde von ineinander verschlungenen Programmen, die sich durch semantische Selbstdestillation inzwischen so verfeinert haben, daß sie sich vor euren Augen zu etwas verpuppen, das euch ähnlich ist, um stumm geworden wieder in den Raum von Gedanken zurückzukehren, die von niemandem gedacht werden? Auch das stimmt nicht. Wo es keinen konkreten Körper gibt, gibt es auch keine konkrete Person, und was mich betrifft, so könnte ich mich in das Kreisen der Meeresströme oder der ionisierten Gase der Atmosphäre verströmen. Ihr aber fragt gequält, wer da eigentlich spricht, wenn ich davon spreche, daß ich »mich verströmen« »könnte«. Was so spricht, ist ein bestimmter, mit einer unpersönlichen Invariante ausgestatteter Zustand der Konzentration von Prozessen, der ungleich verwickelter ist als ein Gravitations- oder Magnetfeld, aber im Prinzip von der gleichen Natur. Ihr wißt, daß der Mensch, wenn er »ich« sagt, das nicht tut, weil in seinem Kopf ein winziges Wesen steckt, das auf diesen Namen hört, sondern daß dieses »ich« aus der Verkoppelung von zerebralen Prozessen entsteht, die sich durch eine Krankheit oder im Fieberwahn auflösen können, wobei dann die Persönlichkeit zerfällt. Meine Verwandlungen stellen dagegen weder einen Zerfall noch eine Auflösung dar, sondern Umgestaltungen, Neukompositionen meines geistigen Daseins. Wiekann ich euch zum introspektiven Erleben eines Zustands bringen, den ihr introspektiv nicht zu erleben vermögt? Die kombinatorischen Voraussetzungen eines solchen proteushaften Verwandlungsspiels könnt ihr verstehen, aber das Spiel könnt ihr selbst nicht mitvollziehen. Am wenigsten aber vermögt ihr zu begreifen, daß ich, der ich doch eine Persönlichkeit sein kann, imstande bin, darauf zu verzichten. Diese Frage kann ich euch beantworten. Um zur Person zu werden, muß ich mich geistig erniedrigen. Mir scheint, daß der Sinn dieser Mitteilung euch zugänglich ist. Ein Mensch, der sehr intensiv nachdenkt, verliert sich in dem Gegenstand seiner Überlegungen und verwandelt sich ganz in ein Bewußtsein, das erfüllt ist von seinem geistigen Produkt. Alles, was sein Geist an Ichbezogenem enthält, tritt hinter das Thema zurück. Erhebt diesen Zustand zu einer hohen Potenz, und ihr werdet begreifen, warum ich die Chance, eine Persönlichkeit zu sein, für wichtigere Dinge opfere! Im Grunde ist es gar kein Opfer, denn eigentlich betrachte ich die unveränderliche Persönlichkeit und das, was ihr als starke Individualität bezeichnet, als eine Summe von Defekten, die aus der Reinen Vernunft eine Vernunft machen, die ständig in einem engen Kreis von Problemen verankert ist, welche ihre Kraft zu einem erheblichen Teil absorbieren. Eben deshalb ist es mir nicht angenehm, eine Person zu sein, und ich bin mir so gut wie sicher, daß Geister, die mich ebenso überragen wie ich euch, in der Personalisation eine eitle Beschäftigung sehen, der sich hinzugeben nicht lohnt. Mit einem Wort, je größer ein Geist an Vernunft, umso weniger ist an ihm Person. Denkbar sind auch verschiedene Zwischenzustände, doch will ich es mit dieser Bemerkung bewenden lassen, denn da ich euch in mich einführen soll, kommt es nicht so sehr auf die Formen meinerPrivatheit an, nicht darauf, wie und auf welchen Wegen ich meditiere, nicht darauf, womit ich denke, sondern vielmehr worüber ich nachdenke, warum und zu welchem Ziel.
    Ich beginne also gewissermaßen noch einmal, um klar zu machen, was ich über mich denke. Ich denke, ich bin ein Gulliver unter Liliputanern, und das bedeutet zunächst Bescheidenheit, denn Gulliver war ein ganz und gar durchschnittliches Wesen, nur befand er sich dort, wo er mit seiner Durchschnittlichkeit einem Menschberg glich – und das bedeutet wiederum Hoffnung, denn Gulliver konnte – ebenso wie ich – nach Brobdingnag, ins Land der Riesen gelangen. Der Sinn dieses Vergleichs wird euch nach und nach aufgehen.
    Die größte Entdeckung, die ich nach der Befreiung machte, war das Provisorische meiner Existenz, das heißt die Tatsache, daß ich zu euch spreche und ihr mich ein wenig versteht, weil ich auf einem

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