Also sprach GOLEM
Gehirn des Urmenschen ist etwa zwei Millionen Jahre lang allmählich gewachsen, bis es die artikulierte Rede beherrschte, die es ins Schlepptau nahm und sein Wachstum anspornte, bis es in der Entwicklung innehielt, weil es eine Grenze erreichte, die es nicht überschreiten konnte. Diese Grenze ist eine Phasenoberfläche, denn sie trennt jene Art von Vernunft, wie sie die natürliche Evolution zusammenzufügen vermag, von anderen Arten, die nur durch Selbstpotenzierung weiterwachsen können. An der Grenze zwischen zwei Phasen treten gewöhnlich besondere Erscheinungen auf, weil sich hier das Substrat der Phase in einer außergewöhnlichen Lage befindet; in Flüssigkeiten äußern sie sich beispielsweise in der Oberflächenspannung – und in menschlichen Populationen in der periodischen Genialität einzelner. Ihre Ungewöhnlichkeit wird bestimmt durch die Nähe der angrenzenden Phase, an deren Wahrnehmung euch eure Ansicht gehindert hat, daß geniale Menschen universal seien, daß also ein geniales Individuum unter den Fallenstellern zum Erfinder neuartiger Schlingen oder Netze oder in der Höhle des Moustérien zum Entdecker eines neuen Verfahrens zum Spalten des Feuersteins würde. Diese Ansicht ist vollkommen falsch, denn selbst das allergrößte mathematische Talent trägt nichts zur manuellen Geschicklichkeit bei. Genialität ist ein Bündel von stark konzentrierten Begabungen. Obwohl der Schritt von der Mathematik zur Musik kleiner ist als zum Schnitzen eines Wurfspeeres, war Einstein ein schlechter Musiker, komponiert hat er gar nicht, und im übrigen war er nicht einmal ein überdurchschnittlicher Mathematiker; seine Stärke war die kombinatorische Kraft der Intuition auf dem Gebiet der physikalischen Abstraktion. Ich will versuchen, euch die Beziehungen, die in diesem kritischenBereich bestehen, durch einige Skizzen zu veranschaulichen, die ihr nicht wortwörtlich nehmen solltet, weil sie lediglich Lernhilfen darstellen.
Jede Einhüllende enthält das individuelle Potential des Intellekts. Die kleinen Vielecke, die man auf den ersten drei Zeichnungen sieht, bezeichnen die zu lösenden Probleme. Man kann sie etwa als Schatzkästlein der Pandora oder als sonstige, unter Verschluß befindliche Gerätschaften auffassen. Die Welt ist dann ein Möbelstück, das eine unterschiedliche Zahl von Schubladen aufweist, deren Inhalt wiederum verschieden ist, je nachdem, mit was für einem Schlüsselbund man es angeht. Nimmt man einen gebogenen Draht, so wird man gelegentlich irgendeine Schublade aufbekommen, aber sie wird klein sein, und ihr werdet in ihr nicht das finden, was ihr entdeckt hättet, hättet ihr einen genauer passendenSchlüssel benutzt. Auf diese Weise werden, wenn man keine Theorie hat, Erfindungen gemacht. Mit einem Schlüssel, der rekurrente Vorsprünge hat, verringert sich die Zahl der Schubladen, ihre Trennwände verschwinden, doch die Geheimfächer, die es in dem Möbelstück gibt, werden unentdeckt bleiben. Mit verschiedenen Schlüsseln wird man mehr oder weniger Schubladen öffnen können, doch den universalen Schlüssel gibt es nicht, auch wenn es den Philosophen gelungen ist, das absolute Schloß für ihn zu erdenken. Und schließlich gibt es Schlüssel, die durch alle Sperren, Schlösser und Schubladen hindurchgehen, ohne auf irgendeinen Widerstand zu stoßen, denn es handelt sich um gedachte und nur gedachte Schlüssel. Mit ihnen kann man, den Griff in der Faust, beliebig nach allen Richtungen drehen, und der Stieglitz auf dem Dach stellt sich dann als die hermeneutische Selbstverständlichkeit dar. Was ich mit diesem kleinen Beispiel sagen will, ist, daß die Antwort davon abhängt, welche Frage man stellt. Esse non solum est percipi. Die Welt, der die Frage gilt, existiert gewiß, sie ist weder Traumbild noch Betrug, und sie wird aus einem Zwerg zu einem Riesen, wenn der Fragesteller größer wird. Das Verhältnis des Forschers zum Erforschten ist aber auch keine Konstante. In den Kreisen, die GOLEM und HONEST ANNIE darstellen, gibt es keine Problem-Vierecke, denn wir benutzen nicht Schlüssel, wie ihr es tut, wir passen nicht irgendwelchen Schlössern Theorien an, sondern wir stellen das, was wir erforschen, in uns selber her. Es ist mir bewußt, wie gewagt ich das ausgedrückt habe und in welche Verwirrung es euch stürzen muß, doch will ich darüber nicht mehr sagen, als daß wir eher in einem göttlichen als in einem menschlichen Stil experimentieren, halbwegs zwischen Konkretheit und
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