Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
aber im Augenblick brauche ich nichts.«
Der Professor machte ein enttäuschtes Gesicht. » Mrs. Carpenter?«, fragte er und griff nach der Likörflasche und einem Glas.
Zoe setzte ein strahlendes Lächeln auf. » Ich würde es liebend gern probieren, Professor, aber ich bekomme Kopfweh, wenn ich mitten am Tag trinke.«
Er zuckte mit den Achseln. » Es stört Sie hoffentlich nicht, wenn ich mir ein Gläschen genehmige.«
Der Professor schenkte sich seinen Drink ein, und sie setzten sich, Ry und Zoe nebeneinander auf die Couch und der Professor in einen Armsessel. Ry fiel auf, dass Kuzmin anscheinend Zoe nicht direkt ansehen konnte, als fürchtete er sich, ihrem Blick zu begegnen, oder als hätte er Angst, dass sie zu viel in seinen Augen sah. Vielleicht war er einfach nur ein Chauvinist, aber Ry fragte sich, ob möglicherweise mehr dahintersteckte.
» Sie sagten am Telefon, dass Sie eine Ikone erworben haben, die ich mir für Sie ansehen soll?«, sagte der Professor.
» Meine Großmutter hat sie uns zur Hochzeit geschenkt«, sagte Zoe. » Man hat uns gesagt, dass häufig Mythen und Fabeln mit bestimmten Ikonen verbunden sind, und da unsere so ungewöhnlich ist, haben wir uns gefragt, ob es vielleicht eine Geschichte dazu gibt. Und da Sie ein ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet sind…«
Die lange, dünne Nase des Professors stieg ein Stückchen in die Höhe. » Ich habe mir einen gewissen Ruf in dieser Hinsicht erworben. Und Sie haben recht, es ist tatsächlich so, dass mit manchen Ikonen früher verschiedene mystische oder gar magische Eigenschaften verbunden wurden.«
Zoe holte den Seehundfellbeutel aus ihrer Tasche und ließ Kuzmin dabei absichtlich einen Blick auf ihre Glock werfen, und Ry dachte: Kluges Mädchen. Aber was immer der Professor davon hielt, dass sie eine Waffe mit sich führte, er ließ es sich nicht anmerken, und Ry genoss das gute, kühle Gefühl seiner eigenen Pistole im Hosenbund. Dieser Bursche war ihm nicht geheuer.
Zoe richtete die Ikone in ihrem Schoß auf. Der Professor stieß keinen überraschten Laut aus, wie es Lovely getan hatte, aber Ry sah, wie seine Mundwinkel weiß wurden und die Hand, mit der er das Glas hielt, zu zittern begann.
» Lieber Gott, es ist die…« Er unterbrach sich, und eine lebhafte, fast gefräßige Gier huschte über sein Gesicht.
Er riss sich mühsam zusammen, trank einen kräftigen Schluck von seinem Unicum und fragte allzu beiläufig: » Hat Ihre Großmutter gesagt, wie sie an dieses Werk gekommen ist?«
Ry spürte, wie Zoe auf dem Sofa neben ihm praktisch vibrierte, und er wusste genau, wie sie sich fühlte. Auch ihn kribbelte es vor Aufregung in den Fingerspitzen. Was hatte Kuzmin über die Ikone sagen wollen? Dass es die Madonna war? Und wenn er über die Ikone Bescheid wusste, wusste er dann auch von dem Knochenaltar?
» Sie ist schon seit Langem in unserer Familie und wurde jeweils von der Mutter an die Tochter weitergegeben«, sagte Zoe. » Großmutter sagt immer, wir sind gesegnete Mädchen aus einer langen und stolzen Ahnenreihe, und keine von uns darf die Letzte sein.«
Ry hatte das Gefühl, dass Katja Orlowa diese Worte tatsächlich gesagt hatte. Nicht zu Zoe, denn sie hatten sich nie gesprochen, aber zu jemand anderem. Anna Larina?
Kuzmin beugte sich vor und sah Zoe nun durchdringend an, als könnte er mit seinen grauen Augen wie ein Laser in ihren Kopf bohren.
» Sie sind die Hüterin«, sagte er, und Ry spürte, wie Zoe vollkommen erstarrte.
Der Professor lehnte sich zurück, erkennbar zufrieden mit der Reaktion, die er hervorgerufen hatte. » Sie fragen sich, woher ich das weiß? Weil ich kein Narr bin. Ich sehe die Madonna. Ich sehe Ihr Gesicht.«
Zoe warf Ry einen raschen Blick zu, und sie wusste, dass er ebenfalls wieder an diese Zeile aus dem Brief ihrer Großmutter dachte. Schau zur Madonna …
» Vielleicht«, sagte Professor Kuzmin, » sollte ich mit dem Anfang beginnen. Mit meinem Vater und einem Ereignis, das im Frühjahr 1936 stattfand.«
40
» Zu jener Zeit diente mein Vater in der GUGB , wie sich die sowjetische Geheimpolizei damals nannte. Das lässt ihn nach mehr klingen, als er war– nämlich ein Verwaltungsangestellter für einen gewissen Oberleutnant Nikolai Popow, den Adjutanten des Kommissars des Hauptdirektoriums für Staatssicherheit in Leningrad. Das wir heute wieder St. Petersburg nennen.«
Er hielt inne, und seine Augen wurden feucht. Dachte er an den Vater, der ihn verlassen hatte, als er elf
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