Altar der Ewigkeit: Thriller (German Edition)
lassen.«
» Sie werden uns so oder so erschießen.« Mich. Sie werden mich erschießen. Aber nicht dich, Nikki. Nicht dich.
Die Soldaten kannten sicher einen Teil der Wahrheit, etwa dass er in Wirklichkeit zur Staatssicherheitspolizei gehörte, aber er hatte ihnen wohl nichts von dem Knochenaltar erzählt. Sie fragte sich, welches Märchen er ihnen aufgetischt hatte, um sie mit ihren Schlitten hier zum See zu locken.
Er ließ sie los und blickte über den See, die Augen zusammengekniffen zum Schutz vor dem Gleißen der Sonne auf dem Eis. Der Schlitten war inzwischen so nahe, dass sie die dunkelblauen Uniformen der Soldaten sehen konnten. Es waren nur drei.
Lena machte einen Schritt zurück, dann noch einen, bis sie wieder hinter dem Wasserfall war, bei dem Einschnitt in den Felsen und sicher unterhalb der riesigen Schneewehe auf der Klippe über ihnen. Sie spürte sie wieder zittern, eine Vibration unter ihren Stiefeln. Sicher merkte es Nikolai ebenfalls, oder? Aber nein, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Schlitten und den Soldaten, die immer näher kamen.
Er drehte sich um, sie hob das Messer und richtete es auf sein Herz. Die gekrümmte Klinge funkelte in der Sonne.
Sein Blick fiel auf das Messer und ging zurück zu ihrem Gesicht. » Du weißt es.«
» Dass du Geheimpolizist bist, ein Lügner und Dieb? Ja, ich weiß es.«
» Dann weißt du auch, dass es keinen Ausweg für dich gibt. Aber du musst nicht sterben.«
Ich könnte ihn hassen, dachte sie, wenn ich ihn nicht bereits so innig lieben würde. Das Schlimmste war, was sie an der Leere in seinen Augen erkannte: Er würde zusehen, wie sie starb, und nichts dabei empfinden.
» Immer weitere Lügen, Nikki. Bis zum bitteren Ende.«
» Ach, komm. Du musst mir bis fast zum bitteren Ende geglaubt haben. Sonst hättest du mir den Knochenaltar nicht gezeigt.«
» Das habe ich nicht«, sagte sie, aber ihre Leugnung klang so hohl, dass er ihr ins Gesicht lachte.
» Natürlich hast du mir geglaubt. Andernfalls stünde ich jetzt nicht hier und würde mich wie ein neuer Mensch fühlen, könnte man sagen…« Er schüttelte den Kopf. » Ach, Lena, ich weiß, was es dich gekostet hat. Du musst nicht glauben, dass ich nicht dankbar wäre.«
» Dankbar.« Sie erstickte fast an dem Wort und hasste sich, weil ein Teil von ihr selbst jetzt noch wollte, dass er sie weiter belog. » Ich habe alles für dich aufgegeben. Meine Ehre, mein Leben.« Mein Herz. » Hast du dir gar nichts aus mir gemacht, Nikki? Nicht ein bisschen?«
Er seufzte und wandte den Blick ab. » Lena, Lena… spielt es denn eine Rolle?«
War da Bedauern in seiner Stimme? Eine Spur von Traurigkeit? Nein, er hatte recht– es spielte keine Rolle. Und welche Wahrheit würde überhaupt die weniger schmerzhafte sein? Zu wissen, dass er sie geliebt hatte und dennoch verriet? Oder dass er sie nie geliebt hatte?
Er sah sie noch einmal kurz an, dann machte er kehrt und ging auf den gefrorenen See hinaus. Er hob die Arme hoch in die Luft, als würde er sich ergeben. Einer der Soldaten wölbte die Hände um den Mund und brüllte: » Halt!«
Der Ruf des Soldaten hallte wie ein Gewehrschuss über das Eis. Einen Moment lang blieb alles still, dann hörte Lena ein Grollen. Sie sah nach oben, wo die riesige Wehe aus Schnee aus der Wand brach. Sie stürzte donnernd in schweren Platten vor ihr auf die Erde, und eine gewaltige Eiswolke blähte sich vor ihr auf und raubte ihr die Sicht auf Nikolai, auf den See und alles andere.
4
» Nicht schießen! Ich ergebe mich, nicht schießen!«
Hauptmann Nikolai Popow hob die Arme noch höher, als der Schlitten knirschend auf dem Eis anhielt. Einer der Soldaten richtete ein Gewehr auf seine Brust. Der Führungshund knurrte.
» Nicht schießen«, sagte Nikolai noch einmal. Der Lagerkommandant sollte seinen Männern bereits befohlen haben, das Feuer nicht zu eröffnen, aber man konnte nicht vorsichtig genug sein.
» Genosse Hauptmann«, rief der Kommandant und wuchtete seine schwere Gestalt von dem Schlitten. Ein breites Lächeln trat auf sein feistes, vom Wind gerötetes Gesicht. » Als ich diese Lawine herunterkommen sah, dachte ich einen Moment lang, wir hätten Sie verloren. Und was ist mit dem Mädchen? Alles in Ordnung mit ihm?«
Der Kommandant klopfte mit dem Handballen das Eis von seinem Schnauzbart, während er an Nikolai vorbei zu dem Einschnitt in der Wand hinaufsah, wo noch vor wenigen Augenblicken die riesige Wehe aus Schnee über dem Wasserfall und dem
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