Alte Feinde Thriller
Frankford Avenue im Sommer 1979. Was sollte das?
Nun, vielleicht war mein Großvater einfach sehr viel geschickter darin, das Jahr, das er besuchte, zu bestimmen. War es möglich, dass er ins Jahr 1979 zurückgereist war und auf der Avenue auf Beutezug gegangen war? Und wenn ja, wie hatte er das Zeug bei sich behalten? Hatte er in der Vergangenheit alles in einem Bankschließfach deponiert und es dann in der Gegenwart geöffnet? Allerdings musste er dazu in der Lage sein, in der Vergangenheit ein Schließfach einzurichten, und das ging nicht, wenn man unsichtbar war. Und obendrein in einer gut beleuchteten Bank stand.
Vielleicht handelte es sich wirklich nur um eine zusammenhanglose Serie von Artikeln, die er aufgehoben hatte, weil er ein Faible für wahre Kriminalfälle hatte. Vielleicht hatte es rein gar nichts zu bedeuten.
Mein Kopf begann wehzutun.
Nachdem ich bereits ein paar Stunden herumgestöbert hatte, stolperte ich über einen Florsheim-Schuhkarton. Er war mit alten Fotos meines Vaters vollgestopft. Ich öffnete ein Golden Anniversary und setzte mich hin, um sie genauer zu betrachten.
Ich hatte diese Aufnahmen noch nie gesehen. Viele
zeigten meinen Vater als kleinen Jungen, in kurzen Hosen und so weiter. Er hockte lächelnd neben Grandpa Henry, der - ich hasste es, das zuzugeben - mir sehr ähnelte. Er trug ein T-Shirt mit V-Ausschnitt und lächelte. Damals hatte er noch mehr Haare.
Wir Wadcheck-Männer ähnelten uns alle. So als wäre derselbe Mann mit nur einem geringen Anteil mütterlicher Gene stets aufs Neue wiedergeboren worden.
Hey, und da war auch Grandma Ellie, sie strahlte und hielt meinen Vater als Baby im Arm. Wahrscheinlich hatte Grandpa Henry das Foto geschossen.
Diese Fotos gewährten mir einen flüchtigen Einblick in eine Welt, von deren Existenz ich kaum etwas wusste - ein magisches, märchenhaftes Königreich, in dem mein Vater lebte und seine Eltern noch verheiratet waren, sich liebten, und wo noch die Möglichkeit bestand, dass sich alles zum Guten wandte. Die Möbel waren abgenutzt, die Wände abgeschlagen, doch sie fingen in einer ruhigen Gegend von Philadelphia gerade ein gemeinsames Leben an. Sie hatten keine Ahnung, welche Tragödien noch auf sie warteten.
Der Mann in dem Shirt mit dem V-Ausschnitt hatte keine Ahnung, dass er etwas dreißig Jahre später seinen eigenen Sohn zu Grabe tragen würde.
Die Frau, die das Baby hielt, hatte keine Ahnung, dass ihr Ehemann sie verlassen würde und sie den Rest ihres Lebens mehr oder weniger alleine bleiben würde.
Und das Baby hatte keine Ahnung, dass es in einer Bar die Beherrschung verlieren und einen dreißigsekündigen
Kampf vom Zaun brechen würde, der sein Leben beenden sollte.
Ich nahm mir noch ein Bier und wühlte weiter in den Kartons. Zu meiner Überraschung entdeckte ich ein paar grobkörnige, vergilbte Polaroids von mir.
Da war ich, wie ich mich mit meinem Vater auf unserem abgewetzten braunen Wohnzimmerteppich herumfläzte. Ich, wie ich mir, an seinen Arm geklammert, einen übergroßen Doughnut mit ihm teilte, während auf der Fernsehtruhe im Hintergrund eine Star-Trek -Wiederholung lief. Ich, wie ich auf einer Spielzeugorgel herumhämmerte, während Dad auf seiner akustischen Gitarre spielte. Ich, wie ich mich beim Auftritt meines Vaters zur Zweihundertjahrfeier unten bei Penn’s Landing in der Nähe der Band herumdrückte. Was, falls ich damals tatsächlich verlorengegangen wäre, wohl das letzte Foto gewesen wäre, das meinen Eltern von mir geblieben wäre.
Vor allem erinnere ich mich aus der gemeinsamen Zeit mit meinem Vater daran, dass sich alles um Musik, Horrorfilme oder Science-Fiction-Sendungen drehte - kurz gesagt um das, was ihn interessierte. Er indoktrinierte mich. Verpasste mir schon früh eine kräftige Dosis von dem guten Stoff. Damals war ich völlig von ihm begeistert. Ich hockte oft auf dem oberen Absatz der Kellertreppe und lauschte, wie mein Vater seine Akkordläufe übte oder versuchte, die Akkorde irgendwelcher Top-40-Singles nachzuspielen, und ich sah dabei zu, wie er seine Platten und Textblätter in einem
Aktenschrank ordnete. Die Luft im Keller war immer vom Geruch seiner Zigaretten oder eines Joints erfüllt.
Wenn er noch länger gelebt hätte, hätten wir vielleicht unseren ersten Joint zusammen geraucht.
Draußen rumpelte die Hochbahn vorbei. Ich öffnete ein Bier und legte ein weiteres von den Alben meines Vaters auf - Styxs Paradise Theatre. Er war nicht mehr dazugekommen, es
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