Alte Liebe: Roman
Anhänglichkeit an die Mutter, zeigte sich in den zahllosen Telefonaten mit ihr.
Wir kamen letztes Jahr mit Gloria überein, dass sie das von unserem Telefon aus tun konnte, wenn es denn schon sein musste, dass das Handy aber für die Woche eingezogen wurde. Einsichtig war da weder Mutter noch Tochter. Lore und ich haben das aber durchgesetzt, denn die ständigen Hilferufe an die Mutter, wenn wir einmal etwas streng waren, waren uns zuwider.
War das Kind im letzten Jahr anstrengend, dann war es jetzt unausstehlich. Lore macht sich gar keinen Begriff davon. Sie hat sich ja grade mal einen Tag freigenommen. Diese Kinder sind Tyrannen!
Was immer man so einem Kind sagt, es kommt ständig Widerspruch. Aber, aber, aber, so ging das den ganzen Tag. Aber du hast auch. Aber ich will. Aber, aber, aber. Sie muss sich ausprobieren, sagt mir Gloria am Telefon, sie muss die Grenzen ausloten. Wo soll sie das tun, wenn nicht bei uns, bei euch, bei den Menschen, deren Liebe sie sich sicher sein kann. Was glaubst du, was Frank anfangs mitgemacht hat! Ich hab Gloria klargemacht, dass mir das egal ist, dass ich in Zukunft nicht mehr gewillt bin, mich um ein unerzogenes oder verzogenes Kind zu kümmern. Und ich habe ihr gesagt, wenn wir dem Kind nicht mehr sagen dürfen, wie es sich hier zu benehmen hat, soll sie es abholen. Noch sind wir die Erwachsenen. Noch sagen wir, was das Kind darf und was nicht. Basta. So entschieden habe ich noch nie mit meiner Tochter gesprochen. Aber es nutzt ja nichts. Da kommt sofort diese unausgegorene, verquirlte, pädagogische Scheiße, die man aus zig Fernsehdiskussionen kennt. Ich hab Gloria tüchtig die Meinung gesagt. Leider hörte Laura das Gespräch mit, zumindest das, was ich sagte. Lächelnd saß sie da und sagte danach: Siehst du, Opa, meine Mama findet dich auch scheiße.
Ich hätte sie ohrfeigen können.
Seit Laura im Dunstkreis dieser Fabrikantenfamilie lebt und anscheinend alles mit Geld geregelt wird, ist sie unerträglich. Unglaublich, wie schnell ein Kind eine solche Umgebung annimmt. Mit der Mutter scheint es allerdings nicht anders zu sein. So resistent gegen jede Art von Kritik war Gloria noch nie. Mit dieser neuen Existenz scheint sie einen Absolutheitsanspruch zementiert zu haben. Was sie macht und denkt, ist richtig. Der Wohlstand scheint sie dazu zu legitimieren.
*
»Nie mehr, Lore, nie mehr!«
»Versprochen.«
»Ist das denn zu fassen!?«
»Nein, ist es nicht.«
»Glaubst du, die Kinder sind heute alle so?«
»Glaub ich nicht. Ich meine, die Kolleginnen, die Kinder haben, die erzählen schon die groteskesten Sachen. Aber so was, nein.«
»Gloria sagt, sie pubertiert eben. Aber doch nicht mit elf!«
»Doch, das ist heute so. Friederikes Tochter ist zehneinhalb, und sie pubertiert.«
»Und ist sie auch so drauf wie Laura?«
»Nein. Friederike sagt, dass die Kleine ab und zu so patzige Schübe bekommt. Dann wird sie frech, legt sich mit der Mutter an. Kurz drauf fängt sie sich, entschuldigt sich und ist wieder lieb.«
»Davon kann bei Laura keine Rede sein.«
»Gloria macht irgendwas falsch.«
»Womit, liebe Lore, wieder einmal bewiesen wäre, dass unsere Tochter in jeder Hinsicht eine Versagerin ist. Übrigens: Sie haben drei Fernseher. Einen im Wohnzimmer, einen hat Laura in ihrem Zimmer und einen haben Frank und Mama in ihrem Schlafzimmer.«
»Meinetwegen.«
»Im Schlafzimmer, sagt Laura, gucken Mama und Frank immer Filme ab achtzehn.«
»Ist doch gut, wenn das Kind nicht alles sieht.«
»Sei doch nicht so naiv, Lore. Und frag jetzt nicht wieder, was wir falsch gemacht haben.«
»Ich meine, Gloria war auch schwierig –«
»Und wir hatten Ideale von antiautoritärer Erziehung.«
»Das hat aber doch nicht bedeutet, dass die Kinder die Eltern erzogen haben.«
»Natürlich nicht. Wo sind wir denn, wenn die Kinder uns das Rauchen vorhalten.«
»Das kommt davon, wenn die Erzieher die Kinder als gleichwertige Partner behandeln.«
»Klassenlehrer Jörg.«
»Bitte?«
»Jörg hat dies gesagt, Jörg hat das gesagt, wer ist Jörg? hab ich gefragt. Der Klassenlehrer. Jörg! Kumpel Jörg. Da ist doch jede Autorität im Arsch.«
»Und die Kinder haben keinen Respekt mehr vor den Erwachsenen, und sie versuchen, sie fertigzumachen. Keine Erziehung – nur noch Kampf.«
»Und meistens gewinnen die Kinder.«
»Christas Nichte ist elf. Die fragte Christa neulich, Tante, weißt du, was Pubertät ist? Ja, natürlich weiß ich das, sagt Christa. Ich auch, sagt das
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