Alte Liebe: Roman
Arbeitslose und zweitens: Vielleicht ist ja tatsächlich genügend Privatkapital vorhanden – wo auch immer.«
»Die Hochzeit, sagt Gloria, ist jedenfalls nicht gefährdet.«
»Na fein.«
»Sei nicht zynisch, Harry.«
»Ich bin nicht zynisch. Ich bin ganz sachlich. Liebe Lore, schau hin, hör hin und benutze deinen klaren Menschenverstand. Die Liebe zu unserer Tochter hin oder her, das sind nicht unsere Leute. Wir haben mit denen nichts gemein und wollen mit ihnen nichts zu tun haben. Wir gehen in Gottes Namen zu dieser Hochzeit, versuchen es, uns zu beherrschen, und danach: aus den Augen, aus dem Sinn.«
»Es fällt mir schwer das zu sagen, Harry, aber du hast sicher recht.«
»Man kann sich die Verwandtschaft, die einem zuwächst, nicht aussuchen, leider.«
»Seufz! Ja. Ich muss los.«
»Kannst du den Brief einwerfen, bitte.«
»An Laura? Seit wann schreibst du deiner Enkelin?«
»Ich schicke ihr zweihundertfünfzig Euro.«
»Warum das denn?«
»Zum Geburtstag.«
»Das ist nicht dein Ernst – seit wann denkst du an Geburtstage?«
»Sie hat per Mail das Geld bestellt.«
»Nein?!«
»Doch.«
17 LORE
Gestern hat der Fahrer der Firma Bredow Laura zu uns gebracht. Ein Fahrer! Mit einem luxuriösen Auto, was immer für eins das war, ich versteh nichts davon, ein Lexus? Ja, das stand, glaube ich, drauf. Und Laura saß hinten und spielte irgendein Computerspiel. Sie hatte zwei schwere Taschen mit, alles voller Spiele, ansonsten ein bisschen Wäsche, Klamotten, und sie ist dick geworden. Ein blasses, dickes, nicht glücklich wirkendes Kind von nun elf Jahren. Sie hat uns gerade mal so lala begrüßt, beim Abendessen hat sie auf dem Teller rumgestochert, wir wollten erzählen, mit ihr etwas spielen, ein bisschen rausgehen – nein, sofort ab in eine Ecke und diese schrecklichen Spiele mit den Piep- und Fiepgeräuschen. Harry war total angefressen, ich hab gesagt, lass doch, Harry, der erste Abend, es ist ein Kind, das wird schon noch. Aber das wird nicht. Heute war es genauso. Ich hab mir extra den Tag freigenommen, obwohl heute eine Lesung ist – Christian Brückner liest ›Herz der Finsternis‹ von Joseph Conrad, hätte ich gern gehört, ich mag den Brückner so, auch persönlich, ein toller Mann, manchmal denke ich – nein, das denke ich nicht wirklich, denn wenn man sie dreißig Jahre zu Hause hat, sind sie alle gleich, oder? Ich hab mir die Lesung extra verkniffen wegen Laura, hab Kartoffelsalat mit Würstchen gemacht, die alte Spielekiste mit Memory, Monopoly und Scrabble rausgeholt – nichts. Harry hat vorgeschlagen, einen Harry-Potter-Film zu gucken – nein, kennt sie schon. Sie sitzt in der Ecke und futtert Schokolade und fiept mit ihren Dingern. Harry wollte sie in den Garten mitnehmen – Fehlanzeige. Ich bin ratlos. Ich bin ratlos und fassungslos. Es ist unser einziges Enkelkind, wir sollten es lieben – aber ich kriege keine Beziehung zu Laura, und ich habe das Gefühl, dass es das letzte Mal ist, dass sie uns in den Ferien besucht. Die Chemie stimmt einfach nicht, und sie sagt auch: das ist so eng hier bei euch.
Ja klar, sie lebt jetzt in einer Villa. Das können wir nicht bieten. Aber sie ist ein Kind! Ein Kind muss sich doch für die Welt interessieren, für die Großeltern, muss – nein, muss gar nicht. Gloria hat dieses Kind allein großgezogen, verwöhnt, an der langen Leine gelassen, und das merke ich ja auch – fünfmal hat Laura gestern mit ihrem Handy zu Hause angerufen. Mama, hier ist es so langweilig. Mama, ich will nach Hause. Mama, der Opa raucht, das kann ich nicht haben. Mama, die haben nicht mal einen Großbildschirm.
Was soll ich sagen. Was soll ich machen, was kann ich machen? Wenigstens waren wir einmal kurz draußen, ein bisschen spazieren, aber dann kam ein Regenguss, und als ich sie bat, vor der Tür die nassen Schuhe auszuziehen, hat sie mich groß angeguckt, und beim nächsten Telefonat hörte ich: Mama, hier muss man die Schuhe ausziehen, wenn man reinkommt.
Ich hab kurz mit Gloria gesprochen, aber was soll man da schon sagen. Geht es gut? Ja, es geht. Ich weiß, sie ist gerade schwierig, hat Gloria gesagt, die sind heute früher in der Pubertät. Vielleicht ist es so. Aber dass sich ein Kind völlig zurückzieht, nur seinen Technikkram mag, draußen nichts sieht, nicht fröhlich ist, schweigend Kartoffelsalat und sechs Knackwürstchen in sich reinstopft, dann ohne ein Wort vom Tisch aufsteht, rülpst, wieder im Sessel sitzt und fiep fiep macht – ist
Weitere Kostenlose Bücher