Alte Liebe: Roman
ist tot, mir ist, als säße der Tod hier mit am Tisch und warte ab, wer jetzt dran ist.
Ich will aber so nicht sein. So lethargisch. Ich will stark sein und leben, jawohl, auf dem Friedhof kann man sehen, wie schnell das alles vorbei ist. Ein einziges Leben, das wir da haben. Mach was draus, Lore.
Rita ist in Kur. Auch gut, das wird ihr helfen. Und wir fahren jetzt zu Glorias Hochzeit, zusammen, neu eingekleidet, die Perlen von Mutter neu aufgefädelt für Gloria, und die sechs ganz alten Weingläser von Tante Hilde kriegt sie, mundgeblasen, Venedig, kostbar. Soll sie mit ihrem Frank Wein draus trinken und glücklich sein. Ich kann die Dinge jetzt wegschenken, ich sammel nicht mehr. Erstens ist es für meine Tochter, zweitens steht hier genug Zeug herum, ich sehne mich mal wieder nach Platz und Klarheit, raus mit dem Kram. Rita hat mir einen Karton mit Sachen von Theo gebracht. Schulbücher, Kinderzeichnungen, seine alte Gitarre. Ich kann das gar nicht ansehen. Es tut mir weh. Ich krieg im Moment die Balance zwischen Leben und Tod nicht gut hin. Aber ich bin fest entschlossen, mich nicht runterziehen zu lassen, nicht mehr. Der neue Arzt tut mir gut, der baut mich auf, es geht mir besser mit diesem Zeug, das er mir verschreibt.
Theo liegt nicht in Mutters Grab, natürlich nicht. Er liegt auf dem Südfriedhof, und Rita lässt einen großen Stein mit goldener Schrift anfertigen. Will ich mal in Mutters Grab? Wenn man tot ist, ist es doch egal, oder? Aber irgendwie will ich nicht. Harry sagt, er geht gern da rein. Wie sich das anhört … Hallo Leni, hier kommt dein Schwiegersohn, deine Tochter will ja nicht hier einziehen. Wohin will ich? Pah. Wohin will man, wenn man tot ist. Es gibt so ein Buch, da tragen Freunde die Asche ihres verstorbenen Kumpels ans Meer, weil der nie das Meer gesehen hat. Ich weiß nicht mehr, wie es ausgeht, aber unterwegs, immer mit der Urne dabei, rechnen sie endlich alle ehrlich miteinander ab, wer was wem angetan hat, angesichts des toten Freundes oder dessen, was von dem noch übrig ist.
Was habe ich wem angetan? Ich hab mich weder mit meiner Mutter noch mit meinem Bruder verstanden. Harry? Ist der glücklich geworden mit mir? Ich weiß es nicht. Ich mecker zu viel an ihm rum, das stumpft ihn ab. Gloria? Nein, nicht schon wieder. Gloria lebt ihr Leben, und ich muss sie endlich mal total loslassen. Die Hochzeit ist gut dafür. Die dritte Hochzeit und Schluss und aus.
Ist sie eigentlich verliebt in ihren Frank? Das hört sich alles so vernünftig, so überlegt an. Ich würde mich gern noch mal verlieben. Aber daran darf man ja als Frau mit Mitte sechzig nicht mal denken. Die Männer dürfen. Egal, wie dick sie sind, glatzköpfig, alt, sie finden immer noch eine zwanzig, dreißig, vierzig Jahre jüngere Frau, da, Joschka Fischer in fünfter Ehe. Müntefering. Sogar Helmut Kohl. Unglaublich! Alte Männer, junge Frauen. Umgekehrt immer noch ein Drama – was will die Alte mit dem jungen Mann? Madonna und Jesus, ich finde nicht schlimm, dass der so viel jünger ist, ich finde schlimm, dass der Jesus heißt. Madonna und Jesus, das geht ja irgendwie gar nicht. Aber dass sie sich das traut – alle Achtung. Brauche ich vielleicht zum Aufmöbeln einen kleinen Ausflug mit einem Jesus?
Was denke ich denn da. Mutter und Theo sind begraben, und ich will mich verlieben. Ja, gerade. Um das Leben noch mal so richtig zu spüren. Einmal noch.
*
»Harry, wir fahren erster Klasse, ja?«
»Natürlich. Ich will auch nicht zwischen Schulklassen und Rucksäcken sitzen.«
»Ich hab am Abend vorher leider noch eine Lesung, es wird spät. Du willst sicher nicht …«
»Nein.«
»Du weißt ja noch nicht mal, wer liest.«
»Gut. Wer liest?«
»Eine Kanadierin. Kennst du nicht.«
»Auf deutsch?«
»Die deutschen Texte lese ich. Sie liest englisch.«
»Ach, ich soll kommen, weil du liest?«
»Nein, vergiss es.«
»Doch, ich komm. Ich finde das schön, und so oft wirst du es nicht mehr machen.«
»Du musst aber nicht.«
»Weiß ich. Ich will. Ich mag es, wenn du liest. Worum geht’s?«
»Lass dich überraschen. Um Liebe natürlich.«
»Geht es gut aus? Natürlich nicht, oder?«
»Doch. Hier schon. Sie lieben sich, sie verlieren sich, sie finden sich wieder.«
»Wie heißt das Buch?«
»Wintergewölbe.«
»Was ist ein Wintergewölbe?«
»Du bist doch der Architekt. Musst du doch eigentlich wissen.«
»Weiß ich aber nicht, hab ich noch nie gehört. Wintergewölbe.«
»In einem
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