Alte Liebe: Roman
überhaupt nicht mehr weg.
Wie komm ich denn jetzt auf den Hund? Freude. Es war mehr Freude früher. Es war einfach mehr Freude.
*
»Harry, wollen wir mal einen Tag in die Stadt gehen und Klamotten kaufen für die Hochzeit?«
»Was denn für Klamotten?«
»Na ja, dein Anzug ist so toll nicht mehr, die Hose kneift, und du hast die Jacke oft zu Jeans getragen, ohne die Hose, das sieht man, die Jacke ist ein bisschen ramponiert.«
»Ich brauch keinen Anzug, wann trag ich denn schon mal einen Anzug.«
»Auf der Hochzeit deiner Tochter, auf meiner Beerdigung …«
»Sei nicht geschmacklos, Lore. Aber gut, von mir aus, so einen ganz leichten könnte ich vielleicht wirklich mal brauchen, warum nicht. Und du, wonach ist dir?«
»Ein Seidenkleid. Ich möchte ein schönes Seidenkleid mit Blumen. Und mal wieder hohe Absätze.«
»Du kannst doch gar nicht laufen auf hohen Absätzen. Mit deinem Hallux valgus, da tun dir doch die Füße immer weh.«
»Es müssten gute sein, nicht zu hoch und vorne schön rund, dann geht es.«
»Gut, machen wir einen Stadtbummel, hast recht, haben wir lange nicht gemacht. Kannst du dir denn freinehmen?«
»Ja, ich hab noch Urlaubstage vom letzten Jahr.«
»Warum fahren wir eigentlich nie mal so richtig in Urlaub? Andere Leute fahren ans Meer, legen sich an einen Strand …«
»Weil uns kein Hotel gefällt. Weil dir kein Hotel gefällt, immer sind dir die Betten zu schmal und die Dusche funktioniert nicht und was weiß ich. Es ist ja immer was.«
»Ach, und damals in Fuerteventura, hat es dir etwa gefallen? Steiniger Strand, Frühstücksbüffet voller Fisch und überall Händler mit Ketten, Sonnenbrillen, T-Shirts? Du wolltest doch schon nach drei Tagen nach Hause.«
»Also, kein Urlaub, warum auch, wir haben es doch schön hier. Aber ein bisschen einkaufen, bummeln, mal Geld ausgeben, die Wirtschaft ankurbeln – das haben wir doch früher immer so gern gemacht. Du warst immer ein Mann, mit dem man prima einkaufen konnte. Das ist selten.«
»Der bin ich noch. Wenn wir immer mal zwischendurch ein schönes Bier trinken.«
»Gut. Lass uns das in den nächsten Tagen machen. Die Hochzeit rückt näher, und weißt du, ich hatte jetzt mit Mutters Tod doch viel um die Ohren, mich hat das mitgenommen. Die Schränke ausräumen, ihre paar armen Sachen – ich brauch mal ein bisschen Schönheit.«
»Ich war gestern am Grab, wollte ein wenig Ordnung machen, und da war ein großer Strauß mit weißen Rosen. Warst du das?«
»Ja, das war ich.«
»Das rührt mich jetzt richtig. Du hattest sie lieber, als du zugibst, oder?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich hab einfach so ein Verlustgefühl. Ein Ziehen, immer. Verstehst du das? So ein Loch.«
»Das füllen wir mit einem schönen Seidenkleid.«
»Harry …«
»Ja?«
»Ich glaube, ich liebe dich noch.«
»Sag mir Bescheid, wenn du es genau weißt.«
»Du alter Blödmann.«
24 HARRY
Ich weiß, wie sehr Lore oft am Sinn des Lebens zweifelt, wie schwer sie sich mit dem Altwerden tut. Es ist zu einfach, zu sagen, Männer seien da schlichter gestrickt. Ich hatte diese Phase auch, mit fünfzig, fünfundfünfzig. Ich saß im muffigen Bauamt, verwaltete Bauanträge aller Art und wusste, all meine Träume von früher würden unerfüllt bleiben. Ich würde keine Häuser, keine Kirchen, keine Brücken bauen, wovon ich in jungen Jahren geträumt hatte.
Ich hatte noch zehn bis fünfzehn Berufsjahre vor mir, die sich mit Frau Pohl, der Kaffeemaschine, dem Telefon, den Aktenordnern und der Amtskantine abspielen würden; es würde sich nichts mehr verändern. Niemand interessierte sich mehr für meine architektonischen und städtebaulichen Ideen, ich saß in keinem Gremium, keinem Ausschuss. Ich war ein Maulwurf in den dunklen Amtsgängen geworden und fühlte mich uralt. Ede sagte damals immer, geh in eine Partei, mach dich wichtig, kandidiere für den Stadtrat, tritt in die richtigen Vereine ein, nur so kommst du beruflich zu was. Genau das war aber nicht mein Ding. Nicht mal als getarnten Marsch des Achtundsechzigers durch die Institutionen wollte ich eine solche Karriere machen. Natürlich kamen mir in dieser Zeit auch Gedanken, ob ich überhaupt für diesen Beruf eine Begabung hatte.
Neulich las ich ein Interview mit einem sehr bekannten Weltklasseathleten, der am Ende seiner Karriere sagte: Ich hatte ja kein Talent, aber ich war fleißig und besessen. Ich war ehrlich gesagt nie fleißig und schon gar nicht besessen. Das war wohl mein
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