Alte Meister: Komödie (German Edition)
etwas zu tun, das ich gehaßt hatte, und ich hatte nichts mehr gehaßt, als frische Luft durch alle Fenster in das Haus hereinzulassen, nichts mehr als die von allen Seiten in das Haus hereinströmende Zug luft, sagte er, aber ich hatte naturgemäß nichts gegen die elterlichen Befehle tun können, ich hatteimmer alle elterlichen Befehle strikt ausgeführt, ich hätte mich niemals getraut, einen elterlichen Befehl nicht auszuführen, gleichgültig, ob es sich um einen mütterlichen oder einen väterlichen Befehl handelte, ich führte automatisch jeden elterlichen Befehl strikt aus, sagte Reger, denn ich hatte der elterlichen Bestrafung entgehen wollen und die elterliche Bestrafung war immer die entsetzliche, die grausame, die elterliche Folter fürchtete ich und so führte ich immer alle elterlichen Befehle naturgemäß strikt aus, sagte er, gleich was für einen Befehl und ist es der meiner Meinung nach unsinnigste Befehl gewesen, also auch, daß ich alle Fenster an diesem Geburtstag unseres Vaters aufmachte und die Zugluft hereinströmen ließ in das Haus, war selbstverständlich. Die Mutter hat alle unsere Geburtstage gefeiert, nicht ein einziger unserer Geburtstage wurde nicht gefeiert, ich haßte diese Geburtstagsfeiern, wie Sie sich denken können, wie ich alles Feierliche hasse, ich hasse alles Festliche, alles Feierliche bis heute, mir ist nichts widerlicher als das Feiern und das Gefeiertwerden, ich bin ein Festivitätenhasser, sagte er, von Kindheit an haßte ich alles festen und feiern und vor allem haßte ich es, wenn ein Geburtstag gefeiert wurde, gleich was für ein Geburtstag und am meisten haßte ich es, wenn ein elterlicher Geburtstag gefeiert wurde; wie kann der Mensch einen und seinen Geburtstag feiern, habe ich immer gedacht, wo es doch nichts als ein Unglück ist, überhaupt auf der Welt zu sein, ja, habe ich immer gedacht, wenn die Menschen eine Gedenkstunde einsetzen würden an ihrem Geburtstag, sozusagen als Gedenkstunde für die Untat, die ihnen von ihren Erzeugern angetan worden ist , dafür hätte ich Verständnis, aber doch nicht für einen Feiertag!, sagte er. Und die Geburtstage unseres Vaters wurden mit allem widerlichen Pomp gefeiert, dazu waren immer alle möglichen von mir gehaßten Leute eingeladen und es wurde viel gegessen und getrunken und das Abstoßendste waren natürlich die Ansprachen, die auf den Gefeierten gesprochen wurden, und die Geschenke, diean den Gefeierten geschenkt wurden. Es gibt ja nichts Verlogeneres, als diese Geburtstagsfeiern, zu welchen sich die Menschen hergeben, nichts Widerwärtigeres als die Geburtstagsverlogenheit und die Geburtstagsheuchelei, sagte er. Es war tatsächlich der neunundfünfzigste Geburtstag unseres Vaters, an welchem meine Schwester gestorben ist, sagte Reger. Ich stand in einem Winkel des ersten Stocks und beobachtete, während ich mich vor der kalten Zugluft zu schützen versuchte, meine Mutter, wie sie mit geburtstagshysterischer Geschwindigkeit durch alle Räume gelaufen ist, einmal eine Vase aus dem einen Zimmer heraus in ein anderes Zimmer hinein transportierend, einmal eine Zuckerdose von dem einen auf einen anderen Tisch, eine Tischdecke dahin, eine andere Tischdecke dorthin, ein Buch dahin, ein anderes Buch dorthin, einen Blumenstrauß dahin, einen anderen dorthin, als ich plötzlich von unten herauf, von ebenerdig herauf, einen dumpfen Knall hörte, sagte Reger. Die Mutter war stehengeblieben, denn auch sie hatte den dumpfen Knall von unten herauf gehört. Die Mutter blieb auf der Stelle, auf der sie war, urplötzlich, nachdem sie den dumpfen Knall gehört hatte, stehen und ihr Gesicht ist bleich geworden, sagte Reger. Etwas Fürchterliches war vorgefallen, das war genauso mir wie meiner Mutter in diesem Augenblick klar gewesen. Ich ging aus dem ersten Stock in das Vorhaus hinunter und fand meine Schwester tot im Vorhaus liegend. Ja, ja, sagte Reger, der Sekundenherzschlag ist ein beneidenswerter Tod. Hätten wir selbst nur einmal den Sekundenherzschlag, wir hätten das größte Glück, sagte er. Wir wünschen einen raschen, schmerzlosen Tod und kommen doch unter Umständen in ein langes, jahrelanges Siechtum hinein, sagte Reger gestern und dann, daß es doch ein Trost sei, daß seine Frau nicht lange gelitten habe, nicht jahrelang, wie es unter Umständen der Fall ist, sagte er, nur wochenlang. Aber es gibt natürlich keinen Trost für den Verlust des Menschen, der einem zeitlebens der nächste gewesen ist. Es ist ja auch
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