Alte Meister: Komödie (German Edition)
Herausgabetrauma ist daran schuld, daß Sie nichts veröffentlichen . Im Ambassador hatten Sie gestern einen so gutgeschnittenen Schafspelzmantel an, der mit Sicherheit aus Polen stammt, sagte er plötzlich, und ich sagte, ja, Sie haben recht, ich hatte einen polnischen Schafspelzmantel an, ich war ja, wie Sie wissen, sagte ich zu Reger, mehrere Male in Polen, Polen ist eines meiner zwei Lieblingsländer, ich liebe Polen und ich liebe Portugal, sagte ich, aber wahrscheinlich Polen noch mehr als Portugal und bei meinem letzten Besuch in Krakau, das ist aber schon acht oder neun Jahre her, daß ich in Krakau gewesen bin, habe ich mir diesen Pelzmantel gekauft, ich bin eigens an die russische Grenze gefahren, um ihn zu kaufen, denn nur an der polnisch-russischen Grenze haben sie diese Schafspelzmäntel mit diesem Schnitt. Ja, sagte Reger, es ist tatsächlich ein Vergnügen, ab und zu einen gutangezogenen Menschen zu sehen, einen gutangezogenen, gutaussehenden Menschen, gerade wenn das Wetter so trübe ist und der Kopf mehr oder weniger verfinstert und die Laune überhaupt die schlechteste. Manchmal sehen Sie ja jetzt auch in diesem verkommenen Wien gutangezogene und gutaussehendeMenschen, viele Jahre haben Sie in Wien doch nur an allen Leuten die geschmacklose Kleidung gesehen, diese deprimierende Massenware. Jetzt scheint doch wieder auch etwas Farbe in die Kleidung hinein zu kommen, sagte er, aber es gibt so wenige gutgewachsene Menschen , Sie gehen stundenlang durch dieses verkommene Wien und sehen doch nur deprimierende Gesichter und geschmacklose Kleider , als gingen immer wieder nur verkrüppelte Menschen an Ihnen vorüber. Die Geschmacklosigkeit und die Eintönigkeit der Wiener haben mich jahrzehntelang deprimiert. Ich habe immer gedacht, nur in Deutschland sind sie eintönig und geschmacklos, aber die Wiener sind ebenso eintönig und geschmacklos. Erst in jüngster Zeit ändert sich das Bild, die Leute sehen durchaus besser aus, tragen wieder individuellere Kleider, sagte er, wenn Sie diesen Schafspelzmantel anhaben, machen Sie einen stattlichen Eindruck, sagte Reger. Man sieht so wenige gutangezogene und intelligente Menschen, sagte er. Viele Jahre bin ich ja nur mit eingezogenem Kopf durch dieses verkommene Wien gegangen, weil ich den Anblick von soviel Massen-Häßlichkeit in den Straßen nicht ertragen habe, diese Massen von geschmacklosen Menschen, die einem entgegengekommen sind, waren einfach unerträglich. Diese Hunderttausende von Industrieangezogenen, die mir schon mit den ersten Schritten auf der Straße die Luft genommen haben, sagte er. Und nicht nur in den sogenannten proletarischen Bezirken, auch in der sogenannten Inneren Stadt, haben mir diese grauen Industriekleidermassenmenschen die Luft genommen, gerade in der Inneren Stadt, sagte er. Aber jetzt scheint sich das zu ändern, die Leute haben wieder den Mut, sich individuell zu kleiden, sagte er. Die jungen Leute gehen jetzt, wenn auch noch immer geschmacklos, so doch sehr farbenfroh auf die Straße, wie wenn alle diese Leute erst jetzt, vierzig Jahre nach seinem Ende, den Krieg überwunden hätten, das Kriegstrauma, sagte Reger, das die Menschen beinahe vierzig Jahre so grau und unansehnlich erscheinenhat lassen. Aber Sie sehen natürlich, wie gesagt wird, nur alle heiligen Zeiten einen gut angezogenen Menschen in diesem verkommenen Wien. Das ist natürlich ein beglückendes Gefühl , sagte er, und dann: die Sturmsonate hat auch nur Gould wirklich gut gespielt und erträglich gemacht, kein anderer . Jeder andere hat sie mir unerträglich gemacht. Sie ist ja sehr plump, die Sturmsonate , sagte Reger, wie vieles, das Beethoven geschrieben hat. Aber selbst Mozart ist ja dem Kitsch nicht entkommen, vor allem in den Opern ist soviel Kitsch, das Neckische und das Betuliche überschlagen sich auch in der Musik dieser oberflächlichen Opern oft auf unerträgliche Weise. Ein Turteltäubchen da, ein Turteltäubchen dort, ein erhobener Zeigefinger da, ein erhobener Zeigefinger dort, sagte Reger, das ist ja auch Mozart. Mozarts Musik ist auch voller Unterröckchenund Höschenkitsch, sagte er. Und der Staatskomponist Beethoven ist, wie vor allem die Sturmsonate zeigt, geradezu lächerlich ernst . Aber wo kämen wir hin, wenn wir alles und jedes dieser tödlichen Betrachtungsweise unterzögen, sagte Reger. Die Betulichkeit und der Kitsch sind ja die zwei Haupteigenschaften des sogenannten zivilisierten, in Jahrhunderten und Jahrtausenden zu einer einzigen
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