Alte Meister: Komödie (German Edition)
Finstern tappen, weil ihr Kulturlicht ausgegangen ist. Schade, daß ich daran nicht mehr teilnehmen kann, sagte er. Sie werden sich fragen, warum ich Sie für heute schon wieder hierher beordert habe, Sie gebeten habe, heute schon wieder hierher zu kommen. Es hat seinen Grund. Aber diesen Grund sage ich Ihnen erst später. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen diesen Grund sagen soll. Ich weiß es nicht. Ich denke die ganze Zeit darüber nach und weiß es nicht. Ich bin ja schon stundenlang da und denke darüber nach und weiß es nicht. Irrsigler ist mein Zeuge, sagte Reger, ich sitze schon stundenlang hier auf der Sitzbank und denke darüber nach, wie ich es Ihnen sagen soll, warum ich Sie auch für heute ins Kunsthistorische Museum gebeten habe. Später, später , sagte Reger, lassen Sie mir Zeit . Wir begehen ein Verbrechen und sind nicht imstande, es ganz einfach umständelos mitzuteilen, sagte Reger. Lassen Sie mir Zeit, bis ich mich beruhigt habe, sagte er, Irrsigler habe ich es schon gesagt, aber Ihnen kann ich es noch nicht sagen, sagte er, es ist wirklich blamabel. Im übrigen, was ich Ihnen gestern über die sogenannte Sturmsonate gesagt habe, ist sicher interessant und ich bin auch sicher, daß, was ich Ihnen über diese sogenannte Sturmsonate gesagt habe, stimmt, aber es ist doch wahrscheinlich für mich selbst interessanter, als für Sie. So ergeht es einem ja immer, daß man über ein Thema spricht, weil einen dieses Thema fasziniert, aber es fasziniert einen selber mehr als den, dem wir es letzten Endes doch mit aller krampfhaften Rücksichtslosigkeit, zu der wir fähig sind, aufzwingen. Ich habe Ihnen diese Ansichten über die sogenannte Sturmsonate gestern aufgezwungen, das ist eine Tatsache. Im Zusammenhang mit meinem Vortrag über die Kunst der Fuge, sagte er, habe ich es für notwendigbefunden, mich auch mit der Sturmsonate auseinander zu setzen und ich habe mich gestern dazu gerade ideal imstande gesehen und Sie zum Opfer meiner musikwissenschaftlichen Leidenschaft gemacht, wie ich ja sehr oft Ihre Person zum Opfer meiner musikwissenschaftlichen Leidenschaften mache, weil ich keine andere dafür so geeignete Persönlichkeit habe. Sehr oft denke ich, Sie sind mir gerade recht gekommen, was täte ich nur ohne Sie! , sagte er. Ich habe Sie gestern mit der Sturmsonate belästigt, wer weiß, mit welchem Musikstück ich Sie übermorgen belästige, sagte er, es sind so viele musikwissenschaftliche Themen in meinem Kopf, die zu erläutern ich größte Lust habe; aber ich brauche einen Zuhörer, ein Opfer sozusagen für meinen musikwissenschaftlichen Redezwang, sagte er, denn tatsächlich ist ja mein fortwährendes Reden über Musikwissenschaftliches eine Art von musikwissenschaftlichem Redezwang . Jeder hat seinen eigenen, seinen ur eigenen Redezwang, und ich habe den musikwissenschaftlichen. Ich habe diesen musikwissenschaftlichen Redezwang schon mein ganzes musikwissenschaftliches Leben, denn ohne Zweifel ist mein Leben ja nichts anderes, als ein musikwissenschaftliches Leben, wie das Ihre ein philosophierendes, das ist doch klar. Natürlich kann ich heute auch sagen, daß alles heute Unsinn ist, was ich gestern über die Sturmsonate gesagt habe, so wie ja alles Unsinn ist, was gesagt wird, aber wir sagen diesen Unsinn doch überzeugend , sagte Reger. Alles Gesagte stellt sich über kurz oder lang als Unsinn heraus, aber wenn wir es überzeugend sagen, mit der unglaublichsten Vehemenz, die uns möglich ist, ist es ja kein Verbrechen, sagte er. Was wir denken, wollen wir auch sagen, sagte Reger, und wir geben im Grunde so lange keine Ruhe, bis wir es gesagt haben, wenn wir es verschweigen, erstikken wir daran. Die Menschheit wäre längst erstickt, wenn sie ihren im Verlauf ihrer Geschichte gedachten Unsinn verschwiegen hätte, jeder einzelne, der zu lange schweigt, erstickt, auch die Menschheit kann nicht zu lange schweigen,denn dann erstickt sie, auch wenn es doch nur immer Unsinn ist, das der einzelne denkt, das die Menschheit denkt und das der einzelne jemals gedacht hat und das die Menschheit jemals gedacht hat. Einmal sind wir Redekünstler, einmal Schweigekünstler und wir perfektionieren diese Kunst bis zum Äußersten, sagte er, unser Leben ist genau in dem Grade interessant, in dem wir unsere Redekunst wie unsere Schweigekunst haben entwickeln können. Die Sturmsonate ist ja kein großes Stück , sagte Reger, bei naher Betrachtung ist es doch nur eines der vielen sogenannten Nebenwerke, im Grunde ein
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