Alte Meister: Komödie (German Edition)
Dilettantismus. Wenn die Oper wenigstens interessant wäre, aber im Augenblick ist sie vollkommen uninteressant, schlechte Stücke, schlechte Sänger und ein miserables Orchester dazu. Was waren doch die Philharmoniker noch vor zwei oder drei Jahren!, sagte er, und was sind sie heute, ein Allerweltsorchester . Stellen Sie sich vor, letzte Woche habe ich mir die Winterreise angehört von einem Leipziger Bassisten, ich nenne den Namen gar nicht, denn er sagt Ihnen nichts im Grunde, Sie sind ja an der theoretischen Musik überhaupt nicht interessiert, sind Sie froh, sagte er, dieser Bassist war eine Katastrophe. Immer wieder die Krähe , sagte er, das ist nicht mehr auszuhalten. Ein solches Konzert ist das Umziehen nicht wert, mir hat es um mein frisches Hemd leid getan. Über einen solchen Dreck schreibe ich doch nicht in der Times , sagte er. Mahler, Mahler, Mahler , sagte er, das ist auch enervierend . Aber die Mahlermode hat ihren Höhepunkt schon überschritten, gottseidank, sagte er, Mahler ist ja doch der überschätzteste Komponist des Jahrhunderts. Mahler war ein vorzüglicher Kapellmeister, aber er ist ein mittelmäßiger Komponist, wie alle guten Kapellmeister, wie Hindemith zum Beispiel, wie Klemperer. Die Mahlermode ist mir die ganzen Jahre entsetzlich gewesen, die ganze Welt war in einem richtigen Mahlertaumel, das war schon unerträglich. Wissen Sie überhaupt, daß das Grab meiner Frau, in das ja auch ich hineinkomme, sagte er, unmittelbar neben dem Grab Mahlers liegt? Ach ja, auf dem Friedhof kann es einem wirklich gleichgültig sein, neben wem man liegt, selbst neben Mahler zu liegen, regt mich nicht auf. Das Lied von der Erde mit der Kathleen Ferrier vielleicht, sagte Reger, alles andere Mahlerische lehne ich ab, ist nichts wert, hält keiner genaueren Prüfung stand. Da ist Webern wirklich ein Genie dagegen, ganz zu schweigen von Schönberg und Berg. Nein, Mahler war eine Verirrung. Mahler ist der typische Jugendstil-Modekomponist, natürlich noch viel schlechter als Bruckner, der ja mit Mahler sehr viel kitschige Ähnlichkeitenhat. In dieser Jahreszeit bietet Wien einem geistig interessierten Menschen nichts, einem musikalisch interessierten leider auch nur sehr wenig, sagte er. Aber die Fremden, die in die Stadt kommen, sind natürlich bald mit etwas zufrieden, die gehen auf jeden Fall in die Oper, ganz gleich, was gespielt wird und ist es der größte Schmarren und sie suchen die grauenhaftesten Konzerte auf und klatschen sich die Hände durch und sie strömen, wie Sie sehen, sogar in das Natur- und in das Kunsthistorische Museum. Der Kulturhunger der zivilisierten Menschheit ist gewaltig, die Perversität, die in dieser Tatsache zu suchen ist, weltweit. Wien ist ein Kulturbegriff, sagte Reger, auch wenn in Wien schon lange fast keine Kultur mehr ist, und eines Tages wird in Wien wirklich keinerlei Kultur mehr sein, und es ist dann noch immer ein Kulturbegriff. Wien wird immer ein Kulturbegriff sein, es wird ein um so hartnäckigerer Kulturbegriff sein, um so weniger Kultur in ihm ist. Und bald ist ja tatsächlich gar keine Kultur mehr in dieser Stadt, sagte er. Diese immer dümmer werdenden Regierungen, die wir hier in Österreich haben, werden schon mit der Zeit dafür sorgen, daß es in Österreich bald keinerlei Kultur mehr gibt, nur noch das Banausentum, sagte Reger. Die Atmosphäre hier in Österreich wird immer kulturfeindlicher, von Jahr zu Jahr wird sie kulturfeindlicher und alles spricht dafür, daß in nicht allzu langer Zeit Österreich ein vollkommen kulturloses Land ist. Aber diesen deprimierenden Endpunkt erlebe ich ja nicht mehr, Sie vielleicht , sagte Reger, Sie vielleicht, aber ich nicht, ich bin schon so alt, daß ich den endgültigen Niedergang und die tatsächliche Kulturlosigkeit in Österreich nicht mehr erlebe. Das Kulturlicht wird ausgelöscht in Österreich, das sage ich Ihnen, der Stumpfsinn, der in diesem Land schon so lange herrscht, löscht in nicht allzu langer Zeit das Kulturlicht aus. Dann ist es finster in Österreich, sagte Reger. Aber Sie können sagen, was Sie wollen in dieser Hinsicht, Sie werden nicht gehört und wenn Sie gehört werden, hält man Sie für einen Narren.Was hat es für einen Sinn, wenn ich in der Times schreibe, was ich über Österreich denke und was über kurz oder lang, aber doch in absehbarer Zeit, mit Österreich geschieht? Keinen, sagte Reger, nicht den geringsten. Schade, daß ich das nicht mehr erlebe, wie nämlich die Österreicher im
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