Alte Meister: Komödie (German Edition)
Reger damals im Ambassador, diese Sitzecke, an die ich mich im Laufe der Jahrzehnte gewöhnt habe. Zwei Punkte habe ich, in die ich fliehen kann, wenn ich nicht mehr weiter weiß, so Reger damals im Ambassador, diese Sitzecke hier im Ambassador und die Sitzbank im Kunsthistorischen Museum. Aber wenn Sie ganz allein hier im Ambassador in dieser Sitzecke sitzen, ist es auch fürchterlich, sagte Reger damals im Ambassador. Mit meiner Frau hier zu sitzen war eine meiner Lieblingsgewohnheiten, nicht daß ich allein hier sitze, nicht allein hier, mein lieber Atzbacher, so Reger damals im Ambassador, und im Kunsthistorischen Museum auf der Bordone-Saal-Sitzbank allein zu sitzen, ist auch entsetzlich, wo ich doch über drei Jahrzehnte lang mit meiner Frau darauf gesessen bin. Gehe ich durch die Stadt Wien, denke ich die ganze Zeit, daß die Stadt Wien am Tod meiner Frau schuld ist und daß der österreichische Staat an ihrem Tod schuld ist und daß die katholische Kirche an ihrem Tod schuld ist, ich kann hier gehen, wo und wann ich nur will, ich bringe diesen Gedanken nicht mehr aus meinem Kopf, so Reger. Es ist an mir ein Verbrechen begangen worden, eine städtisch-staatlich-katholisch-kirchliche Ungeheuerlichkeit, gegen die ich nichts tun kann, das ist das Fürchterliche, so Reger. Im Grunde, so Reger damals im Ambassador, bin ich ja in dem Augenblick, in dem mir meine Frau gestorben ist, auch gestorben. Die Wahrheit ist ja, daß ich mir vorkomme wie ein Toter, wie ein Toter, der noch zu leben hat. Das ist mein Problem, sagte Reger damalsim Ambassador. Die Wohnung ist leer und ausgestorben, sagte Reger damals im Ambassador mehrere Male. Ich war nur zweimal in den ganzen zwanzig Jahren in der Regerwohnung in der Singerstraße, die eine Zehn- bis Zwölfzimmerwohnung in einem Jahrhundertwendehaus ist, das jetzt, nach dem Tod seiner Frau, Reger gehört. Angefüllt mit den Möbeln der Familie seiner Frau, ist die Regersche Singerstraßenwohnung ein Musterbeispiel einer sogenannten Jugendstilwohnung, in welcher tatsächlich haufenweise Klimt und Schiele und Gerstl und Kokoschka an den Wänden hängen, alles Bilder, die meine Frau hoch geschätzt hat , so Reger einmal, die mich selbst aber immer zutiefst abgestoßen haben . Jedes einzelne Zimmer dieser Regerschen Singerstraßenwohnung ist um die Jahrhundertwende von einem berühmten slowakischen Holzkünstler tatsächlich zu einem Kunstwerk zusammengebaut worden, ich glaube kaum, daß es in Wien noch eine zweite Wohnung gibt, in welcher die slowakische Holzhandwerkskunst mit einer solchen Geschicklichkeit und mit dem allerhöchsten Qualitätsanspruch so total gelungen ist , Atzbacher. Reger selbst schätzt ja, das sagt er immer wieder, den sogenannten Jugendstil gar nicht, er haßt ihn, denn der ganze Jugendstil ist nichts als Kitsch und er genoß zwar, wie er immer wieder sagte, die Gemütlichkeit der Singerstraßenwohnung seiner Frau, die gelungene Proportion aller Räumlichkeiten in ihr, die Ausmaße seines Arbeitszimmers vor allem, aber da er, wie gesagt, für den sogenannten Jugendstil als Kitsch überhaupt nichts übrig hat, schätzte er immer nur die Bequemlichkeit der Singerstraßenzimmer , die ihm immer ideal für uns beide gewesen sei, nicht ihre Einrichtung. Wie ich das erste Mal in der Singerstraßenwohnung der Reger gewesen bin und Reger mich empfangen hatte, weil seine Frau nach Prag gefahren war, führte er mich kurz durch die ganze Wohnung, hier also existiere ich , hat er damals gesagt, sehen Sie, hier, in diesen Räumen, die mir sehr entgegen kommen, wenngleich diese scheußlichen, unbequemenMöbel gar nicht meinem Geschmack entsprechen . Alles das ist der Geschmack meiner Frau, nicht der meinige, so Reger damals, und wenn ich auf die Gemälde an den Wänden schaute, sagte er immer wieder nur, ach ja, ich glaube, das ist ein Schiele, ach ja, ich glaube, das ist ein Klimt, ach ja, ich glaube, das ist ein Kokoschka. Die Jahrhundertwendemalerei ist nur Kitsch und liegt mir nicht , sagte er mehrere Male, während meine Frau davon immer angezogen gewesen ist, wenn auch nicht tatsächlich fasziniert, angezogen davon, das ist der richtige Ausdruck , so Reger damals. Schiele vielleicht, aber Klimt nicht, Kokoschka ja, Gerstl nein , so seine Bemerkungen. Angeblich Loos, angeblich Hoffmann, sagte er, wie ich gesagt hatte, das sei doch ein Tisch von Adolf Loos, das sei doch ein Sessel von Josef Hoffmann. Wissen Sie, sagte Reger bei dieser Gelegenheit, ich bin immer
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