Alte Meister: Komödie (German Edition)
abgestoßen von diesen Sachen, die gerade modern sind und Loos und Hoffmann sind jetzt so modern, daß ich ganz natürlich davon abgestoßen bin. Und Schiele und Klimt, diese Kitschisten, sind ja heute die Allermodernsten, deshalb stoßen mich im Grunde Klimt und Schiele so ab. Die Leute hören ja heute auch vornehmlich Webern und Schönberg und Berg und deren Nachäffer, dazu auch noch Mahler, das stößt mich ab. Alles, das in Mode ist, hat mich immer abgestoßen. Wahrscheinlich leide ich auch an dem von mir so genannten Kunstegoismus , ich will, was die Kunst betrifft, alles nur für mich allein haben, ich will meinen Schopenhauer allein besitzen, meinen Pascal, meinen Novalis und meinen innigst geliebten Gogol, nur ich allein will diese Kunstprodukte besitzen, diese genialen künstlerischen Ausfälligkeiten, ich allein will Michelangelo besitzen, Renoir, Goya, sagte er, ich ertrage es kaum, daß außer mir auch noch ein Anderer die Erzeugnisse dieser Künstler, dieser Genies besitzt und genießt, allein der Gedanke ist mir unerträglich, daß außer mir noch ein zweiter Janáček auch nur schätzt, Martinu oder Schopenhauer oder Descartes, das ist mir beinahe unerträglich, ich will der einzige sein,das ist natürlich eine grauenhafte Einstellung , hat Reger damals gesagt. Ich bin ein Besitzdenker , so Reger damals in seiner Wohnung. Ich wäre gern in dem Glauben, Goya habe nur für mich allein gemalt, Gogol und Goethe hätten nur für mich allein geschrieben, Bach habe nur für mich allein komponiert . Da das ein Trugschluß ist und eine abgründige Gemeinheit obendrein, bin ich im Grunde immer unglücklich, das verstehen Sie sicher, hat Reger damals gesagt. Auch wenn das Unsinn ist, so Reger damals, wenn ich ein Buch lese, habe ich doch das Gefühl und den Verstand, das Buch ist nur für mich geschrieben worden, wenn ich ein Bild anschaue, das Gefühl und den Verstand, es ist nur für mich gemalt worden, die Komposition, die ich höre, sie ist nur für mich komponiert worden. Ich lese dann und höre dann und schaue dann naturgemäß in einen großen Irrtum, aber doch mit einem sehr hohen Genuß, so Reger damals. Hier auf diesem Sessel, sagte Reger damals zu mir und zeigte mir einen sogenannten scheußlichen Loos-Sessel, den Loos übrigens in Brüssel entworfen hat und auch in Brüssel herstellen hat lassen , habe ich meine Frau vor dreißig Jahren in die Kunst der Fuge eingeführt. Der scheußliche Loos-Sessel steht noch immer auf demselben Platz. Und da, auf dieser scheußlichen Loos-Sitzbank , er hatte mich aufgefordert, auf dieser scheußlichen Loos-Sitzbank , die singerstraßenseitig vor einem Fenster stand, Platz zu nehmen, habe ich meiner Frau ein Jahr lang Wieland vorgelesen, Wieland, den großen Unterschätzten der deutschen Literatur, den Wieland, den Goethe aus Weimar hinausgeekelt hat, wobei Schiller eine widerliche Rolle gespielt hat , so Reger; nach einem Jahr war meine Frau eine Wielandexpertin, schon nach einem einzigen Jahr! , hat Reger damals ausgerufen. Und da, auf diesem genauso scheußlichen wie unbequemen Loos-Schemel , angeblich hat auch diesen Schemel der unerträgliche Pathetiker Loos entworfen, saß meine Frau und las mir in den Jahren sechsundsechzig und siebenundsechzig zwischen ein und zwei Uhr früh den ganzenKant vor. Zuerst hatte ich die größte Mühe, meine Frau in die Welt der Literatur und der Philosophie und der Musik einzuführen, so Reger damals. Es ist ja klar, daß Literatur ohne Philosophie und umgekehrt und Philosophie ohne Musik und Literatur ohne Musik und umgekehrt nicht denkbar sind, sagte er, das dauerte Jahre, bis das meine Frau begriff, so Reger damals in der Singerstraßenwohnung. Ich mußte mit meiner Frau ganz von vorn anfangen, obgleich sie doch schon ihrer Herkunft entsprechend hoch gebildet war, als ich sie kennenlernte. Zuerst hatte ich ja gedacht, ein Zusammenleben sei unmöglich, aber dann war es doch möglich , so Reger, weil meine Frau sich unterordnete naturgemäß , denn das war ja die Voraussetzung für unser Zusammenleben, das ich doch schließlich als ideales Zusammenleben bezeichnen konnte. Eine Frau wie meine Frau lernt nur in den ersten Jahren einer solchen Schulung schwer, ab dann lernt sie leicht und immer leichter, so Reger. Auf diesem unbequemen scheußlichen Loos-Schemel ist meiner Frau sozusagen das philosophische Licht aufgegangen, sagte Reger damals in der Singerstraßenwohnung. Wir gehen jahrelang den falschen Weg der Aufklärung eines
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