Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Antisemitismus und Rechtsradikale hier in der Gegend.«
Friesdorf wiegte den Kopf hin und her. »Nun ja. Wir sind hier ein katholisch geprägtes Berufskolleg. Da haben wir Gott sei Dank kein konkretes Problem mit rechten Gruppierungen. Aber man muss immer ein waches Auge haben. Schändungen jüdischer Friedhöfe beispielsweise sind in der Eifel leider nicht unbekannt. Und ich trage auch Sorge dafür, dass unsere Schüler positive Orientierungen haben. Es ist vielleicht gar kein Zufall, dass Sie genau danach fragen. Nächsten Montag besuche ich auf der Burg Vogelsang einen Vortrag des Verfassungsschutzes zu dem Thema, wie die jungen Leute in die rechte Szene gelockt werden und wie sich die Neonazis erkennen – Kleidung, Symbole, Musik. Da muss man ja sozusagen up to date bleiben.«
»Hab ich gemerkt«, meinte Lorenz. »Dafür hab ich meinen Pfleger Benny, der hat Einblicke in diese Welt, die ich eigentlich gar nicht haben möchte. Für manches bin ich vielleicht doch zu alt.«
Friesdorf lachte. »Höre ich da etwa beim Opa Bertold ein wenig Müdigkeit? Oder ist der Seelsorger gefragt?«
Lorenz winkte ab. »Ach herrje, wenn man damit einmal anfängt, kommt man zu nichts anderem mehr. Ich zumindest. Aber konkret, ich habe Anlass zu der Vermutung, dass Antisemitismus der Hintergrund für drei Morde in Nideggen ist. Das ist sehr beängstigend, und ich traue der Polizei – meine liebe Enkeltochter hört das jetzt nicht – kaum zu, diesen Fall zu lösen. Ein Ermittler ist schon tot.«
»Ich hörte davon«, sagte der Pfarrer bekümmert. »Ein alter Mann, ein Stadtrat und ein Kommissar. Die Zeitungen sind voll davon.«
»Ja, aber es ist noch nicht bekannt geworden, dass der erste Tote ein alter Nazi war, der in meinem Heim lebte, dass er in meinem Beisein einen Streit mit einem etwa gleichaltrigen Juden aus Nideggen hatte und just dieser gestern von Neonazis überfallen wurde, jedoch Hilfe erhielt und keinen Schaden genommen hat. Ich gehe jede Wette, die Polizei sucht unter den Neonazis. Die waren aber alle noch nicht auf der Welt, als die Motive für diese Morde entstanden, da bin ich sicher. Da gibt es alte Narben, die noch nicht verheilt sind.«
Pfarrer Friesdorf rückte seine Brille zurecht und schaute nachdenklich in den Himmel. Es schien, als suche er die Wolken nach Indizien ab, und mit jeder Augenbewegung manifestierte sich ein neuer Gedanke.
»Wissen Sie«, sagte er dann. »Ich glaube schon, dass die Neonazis, wo man ihnen die Straße überlässt, eine Bedrohung für Leib und Leben darstellen, die wir ernst nehmen müssen. Ich glaube aber auch, dass es eine andere Gefahr gibt, die für uns Geschichts- und Kulturinteressierte besonders wichtig ist.«
»Jetzt machen Sie mich aber neugierig.«
Friesdorf lächelte. »Ja, mein Freund Klaus Hardering hat mir erzählt, wie gerne Sie in alten Archiven wühlen.«
Lorenz stampfte überrascht mit seinem Gehstock auf. »Alle Teufel, den Dr. Hardering aus Köln kennen Sie auch? Den aus dem Dombauarchiv?«
»Genau den. Das ist ein alter Freund aus meiner Zeit in Köln. Von ihm weiß ich, wie Sie in seinen Archiven geforscht haben. Er wollte oder konnte mir nur nicht genau sagen, worum es dabei ging.«
Lorenz schmunzelte. »Herr Pfarrer, das ist eine Geschichte, die möchte ich Ihnen tatsächlich nicht aufbürden. Das könnte Sie allzu sehr belasten.« Wehmütig dachte er an sein letztes Abenteuer um die heilige Lanze und daran, dass er selbst diese Reliquie nicht in Händen hatte halten können. Außer einem geheimnisvollen Mönch aus Nowgorod wusste niemand, ob es diese alte Lanzenspitze überhaupt gab. Aber davon wollte er dem Pfarrer lieber nichts erzählen.
Friesdorf grinste. »Vermutlich würde es Sie selbst belasten, aber wir können dies gerne auf sich beruhen lassen. Als Theologe muss ich ständig mit Dingen umgehen, zu denen mir niemand eine klare Faktenlage vorlegen mag.«
Lorenz lachte leise. »Stets zu kleinen Scherzen aufgelegt, so kenne ich Sie. Aber wieder zum Thema: Wir kamen auf Hardering, weil Sie mir etwas von einer bestimmten Gefahr von Rechts berichten wollten.«
»Ja, zurück dazu.« Friesdorf nickte. »Wie gesagt, prügelnde Neonazis auf der Straße sind eine ernst zu nehmende Gefahr, und mir tut es für jeden Menschen leid, der Opfer dieser Gewalt wird. Jedoch gibt es eine schleichende, weniger sichtbare Gefahr, die weniger gewalttätig daherkommt und daher erst einmal nicht so schlimm erscheint, aber dann gerade deshalb umso
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