Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
verheerendere Auswirkungen haben kann.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Ich bin im Rahmen meiner Studien auf eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen gestoßen, die einen seltsamen Beigeschmack von Fremdenhass und Antisemitismus aufweisen. Das geht je nach Qualifikation oder Gesinnung des Autors nahtlos in pseudowissenschaftliche Demagogie über, die unter dem Deckmantel der seriösen historischen, theologischen oder soziologischen Arbeit daherzukommen sucht.«
»Also Sarrazinieren«, bemerkte Lorenz.
»Wie?«
»Nun ja, ich nenne das zu Ehren des Herrn Thilo Sarrazin eben Sarrazinieren«, erklärte Lorenz. »Ein gebildeter Mensch, der so clever-seriöse Volksverhetzung betreibt, dass die Leute versucht sind zu sagen: Das sind doch alles wissenschaftliche Fakten, endlich einer, der sich traut, die Wahrheit zu sagen.«
Friesdorf nickte. »Das trifft den Kern dessen, was ich beobachtet habe. Nur eben nicht bei so öffentlichen Rednern wie Sarrazin, sondern eher in Publikationen zur politischen Bildung und zu historischen Diskussionen, die meist in Fachkreisen geführt werden. Da gibt es beispielsweise, darauf hat Klaus Hardering mich jüngst aufmerksam gemacht, einen Artikel zum Judenprivileg im Kölner Dom, der eine seltsam einseitige antisemitische Interpretation aufweist. Als ich Ihre Email las, musste ich gleich daran denken. Das sollten Sie sich einmal ansehen. Wir können auch gerne gemeinsam Klaus Hardering besuchen. Und – wenn Sie wollen – ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf die Ordensburg Vogelsang zu diesem Vortrag begleiten würden.«
»Sehr gerne«, meinte Lorenz. »Ich merke schon, es war eine gute Idee, zu Ihnen nach Füssenich zu kommen.«
Friesdorf lachte. »Und dabei haben Sie das Interessanteste noch gar nicht gesehen. Wir sollten einen Blick in die barocke Kirche unseres Stifts werfen. Und – nicht zu verachten – es gibt im Kirchenanbau einen Gang, auf dem der Geist einer enthaupteten Schwester sein Unwesen treiben soll. Mir ist die Dame noch nicht begegnet, aber wer weiß, in Ihrer Begleitung steigt die Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens sicherlich an.«
»Weiß nicht. Ich bin nicht der Typ, in dessen Gegenwart die Damen kopflos werden.« Lorenz stand auf.
Werner Friesdorf erhob sich ebenfalls und meinte: »Das macht in diesem Falle nichts. Unser weiblicher Hausgeist hat seinen Kopf ja bereits verloren.«
29. Kapitel
So, ihr Lieben«, grinste Benny. »Ihr müsst euch nun langsam für den weiteren Verlauf eures Samstagabends entscheiden: Wollt ihr Bingo oder Best of Musikantenstadl?«
Lorenz sah den jungen Pfleger über den Rand seiner Brille hinweg an. »Das ist infam und klingt fast wie Goebbels: Wollt ihr Butter oder Kanonen?«
Benny schaute verdutzt drein. »Wie bescheuert ist das denn? Wer wollte denn da Kanonen?«
Gustav lachte leise. »Das kannste dir jetzt nicht vorstellen, was? Aber das ist ja das Kranke: Dieser fiese Hinkefuß vom Niederrhein hat es geschafft, dass alle Kanonen wollten statt Butter. Aber wie passt das hier? Ist Florian Silbereisen nun die Kanone oder doch eher die Butter?«
»Igitt, bis jetzt ging es mir noch gut!«, rief Bärbel aus. »Vielleicht sollten wir einfach weder das eine noch das andere wählen.«
»Das ist ein ganz hervorragender Vorschlag«, kommentierte Lorenz. »So brav und angepasst bist du also gar nicht.«
»Dein Starrsinn färbt wohl ab«, entgegnete Bärbel.
»Dann solltet ihr aber jetzt auch gehen«, mahnte Benny. »Gleich kommt nämlich die Tagesschau, und damit eröffnet die Klinkenberg das Abendprogramm, und wenn ihr dann noch gehen wollt, müsst ihr diskutieren.«
»Und das muss ich heute nicht haben«, stellte Lorenz fest. »Was haltet ihr von einem gepflegten Bier außerhalb dieser Mauern?«
»Sehr viel«, sagte Gustav. »Lasst uns gehen.«
»Dann viel Spaß«, meinte Benny. »Mich müsst ihr leider zurücklassen, ich hab’ Dienst bis zehn.«
»Den Letzten beißen die Hunde«, sagte Gustav und klopfte dem jungen Pfleger auf die Schulter. »Halt durch, mein Junge.«
Wenig später spazierten die drei Senioren durch Nideggen. Es war ein lauer Juliabend. Der Tag war endlich wieder sommerlich warm gewesen. Die Sonne hatte noch keine Lust, unter den Horizont zu sinken. Die Gaststätten hatten so viele Stühle wie möglich auf die Straße gestellt, und es herrschte ein lebendiges Treiben. Lorenz hatte gute Laune wie schon lange nicht mehr. Er erzählte Bärbel und Gustav von seinem Besuch bei Pfarrer Friesdorf
Weitere Kostenlose Bücher