Alte Narben - [Kriminalroman aus der Eifel]
Zuversicht wuchs, die Initiative in diesem Fall übernehmen zu können. Faschisten oder Antifaschisten, sie alle sollten nicht glauben, ihre Rechnung ohne Opa Bertold machen zu können.
27. Kapitel
Das Mobiltelefon klingelte, gleichzeitig ließ der Vibrationsalarm das Gerät auf dem Nachttisch leicht umherhüpfen, wobei es klackend gegen den Lauf der Pistole stieß, die dort abgelegt worden war.
Das Klingeln schwoll an, wurde immer lauter, um dann kurz innezuhalten und nach einer Pause wieder mit dem nervenden Crescendo zu beginnen.
»Mach, dass das aufhört«, ließ sich ein Brummen unter der Bettdecke vernehmen.
»Das ist doch deins«, brummte jemand zurück.
Dann kam eine Hand unter der Decke hervor, tappte suchend herum und fand schließlich das Telefon. Der Hand folgte ein Blondschopf, dessen zerwühlte Mähne keinen Blick auf das darunter verborgene Gesicht freigab, und dann wurde das Telefon zwischen die langen Haare geschoben.
»Hallo, Rita Bertold.«
Eine Pause entstand, in der Rita dem Anrufer zuhörte. Dann sagte sie: »Okay, das ist interessant. Sehr gut. Bin gleich da – in einer Stunde oder so. Nein, den Paul brauchst du nicht anrufen. Das mach ich schon und bring ihn gleich mit. Bis dann.«
Rita ließ das Telefon einfach fallen und zog ihren Kopf wieder unter die Decke zurück. »Paul?«
»Ja?«
»Wir haben Neuigkeiten von der Forensik.«
Paul zog die Decke herunter, sodass ihre nackten Oberkörper zum Vorschein kamen.
»Ach nee, so warm ist es mir wirklich nicht«, maulte Rita und wollte die Decke wieder hochziehen.
»Das sehe ich«, grinste Paul. »Nun werd mal wach und erzähl mir, was du gerade erfahren hast.«
»Dann wärme mich wenigstens.« Rita schmiegte sich an ihn. Dann berichtete sie: »Die Ballistiker haben ein kleines Wunder bewirkt. Die Untersuchung des Einschussloches in Kellermanns Haus und die darin gefundenen Reste des Projektils haben ergeben, dass es sich um eine amerikanische Pistole mit dem Kaliber 45 handelt.«
»Hoppla«, unterbrach Paul sie. »Lisa Wilke?«
»Das wäre zu einfach«, fuhr Rita fort und biss ihn ins Ohr. »Außerdem, lass mich weiterreden. Lisa Wilke hat gestern bei der Sache mit dem Kratz einen Warnschuss abgegeben, sie trägt eine Achtunddreißiger. Illegal übrigens, die darf hier bei uns eigentlich keine Waffe führen.«
»Ich werde sie mir zur Brust nehmen«, meinte Paul.
»Untersteh dich, du Schuft. Zur Rede stellen reicht völlig aus. Aber weiter: Mein Team hat die Daten des Projektils mit allen Straftaten mit Schusswaffengebrauch der letzen fünf Jahre verglichen und ist auf einen Zwischenfall gestoßen, der vor zwei Jahren in Stolberg stattgefunden hat. Bei einer Attacke von Autonomen Linken auf eine Demo von Neonazis wurde ein Antifa-Aktivist angeschossen. Das dabei sichergestellte Projektil entstammt mit hoher Wahrscheinlichkeit derselben Waffe, mit der Kommissar Gerster getötet wurde. Es sieht also so aus, als habe Gerster im Hause des Stadtrates Nazis angetroffen. Und dabei kam es vielleicht zu einem Schusswechsel. Er traf Kellermann, in dessen Kopf steckte ein 9-Millimeter-Action-4-Projektil aus Gersters Waffe, und wurde seinerseits von unserem unbekannten Dritten, der vermutlich ein Neonazi ist, erschossen.«
»Und was hat ein Stadtrat mit Neonazis zu tun? Der Kellermann war doch nicht bei der NPD. Und warum sollte Gerster auf einen unbewaffneten Politiker schießen? Und dann auch noch direkt in den Kopf?«
»Daran arbeiten die Jungs noch. Die Ergebnisse der Tatrekonstruktion sind uneinheitlich, Blutspurenbilder und 3D-Scans werden noch verfeinert ausgewertet. Da bekommen wir wohl erst am Montag oder Dienstag weitere Fakten.«
»Da bin ich gespannt. Wir müssen also in der rechten Szene ermitteln. Da hab ich grad mal überhaupt keine Lust zu.«
»Frag mich.« Rita schüttelte sich. »Aber es nützt ja nix, wie der Vorfall vom gestrigen Morgen gezeigt hat. Der alte Kratz wurde von Neonazis überfallen und von linken Aktivisten beschützt, wobei der verletzte Mann angab, der Antifa nahezustehen, aber keiner Partei anzugehören. Er hat keine Angaben gemacht, woher er den Kratz kennt, und er wusste auch nicht, weshalb sie ausgerechnet dort waren, als der Alte angegriffen wurde. Auch zu den Angreifern konnte er keinerlei Angaben machen, und zu seinen Mitstreitern verweigerte er jede Auskunft. Nicht gerade viel. Der Typ ist nicht koscher. Ich habe übrigens eine Observation der Seniorenresidenz angeordnet. Mal schauen, was im
Weitere Kostenlose Bücher