ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
Er schnellte zurück, packte das Gewehr und schleuderte mich von sich. In diesem Augenblick presste Aljoscha das merkwürdige Gerät an Ibrahims Hals, das sich sofort und wie von selbst an ihm festzukrallen schien. Ibrahim brach brüllend zusammen. Sein Körper krümmte sich unter extremen Schmerzen, während ein merkwürdiges Ticken zu hören war. Er versuchte es von sich zu reißen, doch hatte nicht mehr genügend Kontrolle über seinen Körper und schon in der nächsten Sekunde lag er vollkommen gelähmt da. Aljoscha hob mein Messer auf. Das Blut seiner Wund lief an ihm hinunter, doch er ignorierte es. Wenn er Schmerzen hatte, dann sah man es ihm nicht an. Er starrte nur auf die Klinge und dann zu Ibrahim.
„Tu…es.“ Flüsterte Ibrahim. „Mach schon.“ Er quälte die Worte heraus. Sein Blick wirkte befremdlich. Gar irritiert von der ganzen Situation. Unberührt von dem Umstand jetzt sterben zu müssen. Ich verstand es nicht. Tatsächlich konnte ich selbst in diesem Moment keinen Hass für Ibrahim empfinden. Dafür war er all die Zeit über viel zu wenig Mensch gewesen. Konnte man die Waffe hassen, mit der ein geliebter Mensch erschossen wurde? Man empfand vielleicht Abscheu für dieses Tötungswerkzeug, aber man hasste den, der den Abzug betätigt hatte. Ibrahim war ein emotionsloses, ausführendes Glied in einer Befehlskette. Hätte er versucht uns zu töten, wenn man es ihm nicht befohlen hätte? Wohl nicht. Ibrahim war keine Waffe also konnte ich ihn verantwortlich machen. Er war ein Mensch mit einem Verstand und eigenem Willen und dennoch fiel es mir schwer ihn als solchen wahrzunehmen. Er selbst hatte sich durch sein Verhalten degradiert und nun, da er versagt hatte, wollte er lieber sterben, als sich der Konsequenz zu stellen. Es ergab keinen Sinn. Was ging nur in ihm vor? Ich hielt die Luft an und wartete darauf, das Aljoscha ihn erlösen würde, doch das tat er nicht. Stattdessen reichte er mir das Messer und steckte Ibrahims Waffe ein.
„Du bist immer noch mein Bruder. Ein Beschissener, aber immerhin. Ich werde dich nicht töten.“ Sagte er mit ruhiger Stimme. Ich wollte etwas darauf erwidern, da zog er wieder die Waffe und schoss. Er traf einen Soldaten in den Kopf, der gerade in den Raum stürmen wollte. Direkt hinter ihm war ein zweiter, den eine Kugel am Hals erwischte. Beide sackten zu Boden. Ich zuckte zusammen und mir wurde bewusst, wir schwebten immer noch in akuter Lebensgefahr. Wenn Ibrahim uns nicht töten konnte, dann würde es jeder andere Soldat im Kraftwerk versuchen.
„Schnell. Wir müssen hier weg. Da werden noch mehr kommen.“ Aljoscha drückte eine Hand auf die Wunde, die ihm Ibrahim mit dem Messer zugefügt hatte. Er verzog keine Miene, stöhnte nicht einmal auf, doch er verlor viel Blut. Wir mussten uns beeilen. Die Verletzung würde ihn höchstwahrscheinlich nicht umbringen, aber früher oder später bewegungsunfähig machen. Und bei der Menge Blut die er verlor, tippte ich sogar auf sehr bald. Er stürmte los, ich steckte das Messer weg und folgte ihm.
Das Turbinengeräusch eines Helis war zu hören.
„Das ist entweder Verstärkung oder ein Abholkommando. So oder so, schlecht für uns. Irgendwelche Ideen, wie wir hier rauskommen, Kleines?“
Aljoscha blieb stehen und sah zu mir. Ich dachte angesträngt nach, da fiel es mir wieder ein.
„Der Tunnel! Es gibt einen Tunnel.“ Platze es aufgeregt aus mir heraus.
„Wo lang?“
Jetzt begann unser Problem. Genau wusste ich das gar nicht und für eine ausgedehnte Suche fehlte uns die Zeit. Sowie ich die Idee hatte, schwand auch schon die Hoffnung, dass sie uns irgendetwas nützen würde. Trotzdem mussten wir es versuchen. Für Frustration war keine Zeit. Die Uhr tickte und ich musste Initiative zeigen. Jetzt war es an mir uns irgendwie hier rauszubringen.
„Irgendwo am anderen Ende des Kraftwerks.“
Ich stürmte los und Aljoscha folgte mir. Er war langsamer als sonst. Sein Körper fing bereits an auf die Verletzungen zu reagieren.
„Was ist mit Anna?“ Rief ich ihm im Lauf zu.
„Wir finden sie.“
Auch ich wollte Anna finden. Wir konnten sie nicht einfach zurücklassen, doch würden wir erst nach ihr suchen, bliebe Aljoscha nicht mehr genug Zeit von hier zu fliehen. In diesem Moment verfluchte ich Anna und hasste mich dafür. Sie war eine Freundin, aber ich
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