ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
an seine Brust und atmete tief ein. Ich wollte ihn nicht vergessen. Nichts von ihm. Nicht, sein Gesicht oder wie sich seine Hände, seine Haare anfühlten. Auch nicht seinen Geruch.
„Mach’s gut, Radu.“ Sagte ich noch einmal leise. Diese Worte zerrissen mich schier. Diese Leere war wieder da und diesmal verstand ich, was es war. Es war tiefe Trauer. Ich wollte sie zulassen, aber ich wollte mich ihr nicht noch einmal ergeben. Dieses Mal musste ich stärker sein.
Ich legte meine Weste wieder an und nahm das Messer. Danach schlich ich zur Tür und lauschte nach Geräuschen. Es war nichts zu hören. Bevor ich die Tür öffnete, stellte ich mich etwas seitlich an die Wand. Ich drückte die Türklinke nach unten und die Tür ging langsam auf. Hinter ihr lag ein Gang. An einem Ende lag ein offener Durchgang zu einer Art Raum mit riesigen Betonpfeilern darin und zur anderen erkannte ich die Halle ohne Dach wieder. Wir waren noch im Kraftwerk. Ich lief los Richtung Halle und versuchte dabei so leise wie möglich zu sein. Aljoscha musste sich noch irgendwo hier befinden. Und er war noch am Leben. Emils Worte waren unmissverständlich. Vermutlich sollte ich vor seinen Augen sterben. Er konnte also nicht weit sein. Ich würde ihn retten oder mit ihm sterben, aber noch einen Menschen würden sie mir nicht aus meinem Leben reißen.
Am Ende des Ganges erkannte ich die Silhouette eines Soldaten. Ich schlich mich leise an ihn heran. Er wirkte entspannt. Geradezu unaufmerksam. Sein Blick war gen Nachthimmel gerichtet und er schien in Gedanken zu sein. Kurz vor der Halle blieb ich stehen und umschloss den Griff meines Messers fest. Ich durfte nicht den Halt verlieren, sonst würde ich mich noch selbst verletzten. Als ich nur noch weniger als zwei Meter von ihm entfernt war, stürmte ich los. Mein Herz begann zu rasen. Im letzten Augenblick drehte sich der Soldat zu mir um, doch es war zu spät. Ich rammte ihm den Griff meiner Klinge so fest ich nur konnte gegen die Schläfe. Mit einem dumpfen Stöhnen fiel er zur Seite und prallte mit dem Kopf noch einmal gegen das Mauerwerk, bevor er abrutschte und regungslos liegen blieb. Seine Waffe. Ich brauchte seine Waffe. Ich ergriff das Gewehr und schulterte es, bevor ich ihn an den Knöcheln packte und in den Gang zog. Was tat ich hier nur? Das Kraftwerk war vermutlich voller Soldaten. Ich konnte sie unmöglich alle überwältigen. Und Ibrahim würde bei Aljoscha sein. Was sollte ich gegen ihn ausrichten? Seine Verletzungen waren längst verheilt. Ich hatte nicht einmal mehr den kleinsten Vorteil.
„Was jetzt…?“ Flüsterte ich fast lautlos zu mir selbst. In diesem Moment hörte ich ein merkwürdiges Geräusch. Es klang wie ein kurzer Knall, gefolgt von einem gequälten Stöhnen. Es war Aljoschas Stimme. Ich schreckte auf. Er musste ganz nah sein. Was war da los? Ich lief in die entgegengesetzte Richtung, zu dem Raum mit den Betonpfeilern. Vor dem Durchgang blieb ich stehen, drückte meinen Körper gegen die Wand und versuchte einen Blick vom Inneren zu erhaschen. Es war nichts zu sehen. Die zum Teil schon völlig verfallenen Betonstützen trugen eine Art von Kammern oder Öfen. Sie waren voller zerbröckelter Ziegel. Es waren genau drei, die jeweils von horizontal verlaufenden Betonstreben in etwa zwei Metern Höhe getrennt wurden. Unter den Kammern befand sich nichts. Doch hinter ihnen, in einer Ecke des Raumes, erkannte ich schwaches Licht. Dort musste eine Tür oder ein Durchgang sein.
Ich schlich durch den Raum zur anderen Ecke und duckte mich unter den Betonkonstruktionen hindurch. Sie schirmten das schwache Licht ab und erzeugten Punkte völliger Dunkelheit, in denen ich mich versteckte. Dann hörte ich wieder Aljoschas Stimme. Er sprach mit jemandem, doch ich verstand nicht was er sagte. Mein Herz begann wieder wie verrückt in meiner Brust zu hämmern. Was sollte ich jetzt tun? Aber eigentlich lautete die Frage: Was konnte ich jetzt tun? Ich hatte keinen Plan. Mit seiner enormen Kraft und seinem schnellen Verstand hatte Aljoscha bis jetzt jede Situation unter Kontrolle gehabt. Er war für jeden Ernstfall trainiert. Wie sollte ich etwas unter Kontrolle bringen, das selbst er nicht meistern konnte. Sie hielten ihn gefangen. Sein Leben hing vielleicht von mir ab und die Ernsthaftigkeit dieses Gedankens machte es nur noch schwerer für mich eine Lösung zu finden.
Erneut nahm ich einen erstickten Aufschrei war und meine Anspannung vermischte sich mit
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