ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
konnte sie nicht über Aljoscha stellen. Nur würde er sich selbst nicht über sie stellen. Er würde versuchen sie zu retten, komme was da wolle. Das konnte ich einfach nicht zulassen.
„Wir finden den Tunnel. Dann gehe ich zurück und hole Anna. Du wartest auf uns.“ Rief ich ihm zu.
„Auf keinen Fall!“ Aljoscha packte meinen Arm und riss mich herum. Es kam so überraschend, dass ich gegen seine Brust stolperte. „Ich weiß wozu du in der Lage bist, aber das ist einfach viel zu gefährlich.“
„Du bist verletzt.“ Ich starrte wieder auf seine Wunde hinunter. „Du weißt selbst was passiert, wenn wir uns nicht beeilen.“
„Das Risiko gehe ich ein.“ Sagte er voller Selbstsicherheit. Für ihn war es einfach das, was er immer tat. Bis zum Limit gehen. Doch ich konnte das nicht mehr ertragen.
„Ich aber nicht!“ Schmetterte ich ihm wütend entgegen. „Radu ist tot!“ Kaum hatte ich es ausgesprochen, pulsierte diese Tatsache wieder durch meinen Kopf und vernebelte mir die Sinne. Mein Brustkorb krampfte sich unter Schmerzen zusammen. „Jetzt habe ich niemanden mehr. Niemanden! Nur dich! Wenn ich dich jetzt… hier… auch noch verliere! Dann bringt mich das um!!“ Die Worte kamen stockend, denn immer wieder wollten Tränen diese mit Gewalt verschlucken, aber ich ließ es nicht zu. Ich keuchte, als hätte ich gerade einen Berg erklommen, so schmerzvoll, so anstrengend war es diesen Satz zu formulieren. Aljoscha starrte mich nur fassungslos an. Dann ergriff er meine Hand und drückte sie fest. Er zog mich zu sich und presste meine Stirn gegen seine Schulter.
„Wie oft willst du es noch hören? Ich lasse dich nicht allein und ich werde nicht so schnell sterben.“ Flüsterte er in mein Haar. Meine einzige Antwort war ein sanftes Nicken. Ich wollte mich an ihn klammernd und einfach festhalten, die Zeit lief uns jedoch davon. Wir mussten Anna finden und fliehen. Ich riss mich los und sprintete weiter, genau den Weg entlang, den ich auch mit Radu genommen hatte. Durch den provisorischen Schlafraum zum großen Komplex mit den Turbinen. Wir hatten noch nicht ganz die Mitte des eisernen Durchgangs erreicht, da blieb ich abrupt stehen.
Sorgfältig aneinandergereiht lagen sie am Boden, mit dem Gesicht nach unten. Die Männer des STEA. Allesamt hingerichtet. Der Anblick war grausig und doch so steril, dass es mir nicht echt vorkam. Es kam mir vielmehr so vor als würde ich ein Bild betrachten. Ein Foto von Männern, die in irgendeinem Krieg ihr Leben gelassen hatten. Geschockt wurde mir wieder bewusst, dass es genauso war. Es herrschte Krieg und sie waren tot. Alles im hier und jetzt.
Ich kam näher und sah auf sie runter. Es war kein Blut zu sehen. Jeder von ihnen hatte bloß einen kleinen Einstich an der rechten Schläfe. Vermutlich waren Kugeln oder Gift noch zu kostbar für die simple Exekution von ein paar Rebellen. Ich konnte nicht genau sagen, was man mit ihnen gemacht hatte. Ich konnte nur hoffen, dass es schnell ging und sie keine Schmerzen hatten.
Mein Blick wanderte über ihre Köpfe, in dem Versuch ihre Gesichter wiederzuerkennen. Die meisten waren völlige Fremde für mich. Nur wenige erkannte ich vom Sehen wieder. Zwischen ihnen lag auch Gaard. Eines seiner blauen Augen starrte mich von der Seite an und hatte nun etwas Stumpfes. Mit einem letzten, prüfenden Blick suchte ich sie nach Waffen ab, doch man hatte alles mitgenommen. Ich konnte nichts anders tun, als über sie hinwegzusteigen. Hinter der nächsten Tür führte eine Treppe nach unten. Ich eilte hinunter, kontrollierte jedoch, ob Aljoscha auch noch bei mir war. Er blieb direkt hinter mir stehen und seine Brust berührte leicht meine Schulter.
„Ich bin direkt hinter dir. Keine Sorge.“ Sagte er mit gespielter Empörung in der Stimme. Blenden konnte er mich damit nicht. Sein Atem ging schwer und er war blass. Die Wunde schien nicht mehr zu bluten, doch seine Uniform war bereits durchtränkt. Ich lief weiter.
Wir waren ganz unten angekommen und ich wusste nicht weiter. Zu unserer Rechten war nichts und zu unserer Linken konnte man die unterste Ebene der großen Turbinenhalle erkennen. Wo konnte der Tunnel sein? Fast schon panisch ließ ich den Blick schweifen. Wenn Radu mit mir hier runter wollte, dann musste der Tunnel irgendwo in dieser Halle sein.
„Warte hier.“
Aljoscha öffnete bereits
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