ALTEA (Sturmflut) (German Edition)
würde. Ich wollte nicht glauben, dass weite Teile außerhalb Europas so aussahen. Dass es überhaupt irgendwo so aussah, wollte ich nicht wahrhaben. Wo war der fruchtbare Boden, von dem Aljoscha gesprochen hatte? Denn auf diesem fruchtlosen Sand wuchs ganz sicher nichts. Dann erschien vor uns eine massive Mauer aus Stahl. Erst, als sich ein Tor vor uns öffnete konnte man sehen, dass es sogar zwei Mauern waren. Dazwischen lagen etliche Meter staubiger Erde. Erst jetzt hatten wir das Militärgelände wohl endgültig verlassen. Die Landschaft vor uns hatte sich nicht verändern. Alles sah aus, wie zuvor mit einem Unterschied. Am Horizont erkannte man ein monströses, dunkles Gebilde. Ich griff an die Sitzlehne vor mir und beugte mich ein Stück nach vorn, um besser sehen zu können. Mein Herz schlug mir auf einmal bis zum Hals. Das musste es sein. Die Stadt, die das Herz dieses Landes symbolisierte. Emil lehnte den Kopf leicht zur Seite.
„Das da vorne ist Hyper-City. Es ist auch für mich jedes Mal ein überwältigender Anblick. Ich verlasse den Stützpunkt nicht sehr oft, und ich wohne auch nicht in der Hauptstadt. Aber spektakulär ist es, dagegen kann man nichts sagen.“
Seine letzten Worte nahm ich gar nicht mehr richtig wahr, zu gefesselt war ich von dem Anblick, der vor mir lag. Wir mussten noch Kilometer von der Stadt entfernt sein aber ihre gewaltigen Ausmaße waren bereits jetzt gut zu erkennen. Ohne die Vorwarnung von kleineren Siedlungen waren wir bereits mitten in der Vorstadt von Hyper-City. Große Wohnkomplexe in geometrischer Anordnung. Ich fühlte mich, als wäre ich wieder in Novi. Optisch war kein großer Unterschied zu erkennen, nur, dass dieser Stadtteil um ein vielfaches größer war. Es gab auch mehr Fahrzeuge und Menschen auf den Straßen aber die herausragenden Unterschiede, die ich mir ausgemalt hatte, ließen auf sich warten. Während wir immer mehr Hochhäuser hinter uns ließen, wurde der gigantische Stadtkern vor uns immer gewaltiger. Langsam war die Struktur deutlich zu erkennen. Er wirkte wie ein überdimensionales Vogelnest aus Stahl und Glas. Die einzelnen Wolkenkratzer waren jeweils mit umstehenden Gebäuden verbunden. Diese Verbindungen zogen sich wie lange Fäden aus Metall und reflektierendem Glas durch die Räume zwischen den Häusern und waren auch unter einander und mit dem Boden verbunden. Es wirkte wie beängstigende Kunst in unbeschreiblichen Ausmaßen. Als wir noch näher kamen erkannte ich, dass nicht alle dieser Streben und Röhren Verbindungen zwischen Wolkenkratzern darstellten. Manchen waren einfach höher gelagerte Wege und Straßen und zwischen den Häusern schienen gar ganze Plateaus zu schweben, wie ein Blatt, das in einem Spinnennetz hängen geblieben war. Als ich endlich verstanden hatte, wie das ganze Konstrukt von Hyper-City aufgebaut war überkam mich Faszination, die aber nicht lange anhielt. Die gesamte Stadt war von einem merkwürdigen Schleier umgeben. Eine massive Dunstglocke, die über allem hing und durch die dichte Bebauung in die Höhe, erreichte kaum noch ein Lichtstrahl den Boden der Stadt. Als wir am äußeren Teil des Zentrums ankamen, tauchten wir ein in diese Dunkelheit. Es fühlte sich an, als würden wir im inneren eines Wirbelsturms aus Eisen und Dunkelheit verschwinden. Ich drückte meine Stirn an das Glas, um alles sehen zu können, doch was ich sah erschütterte mich. Ich wollte eine andere Welt sehen und da war sie. Meine Augen konnte kaum alle Eindrücke aufsaugen, mein Verstand sie kaum verarbeiten. Ganz unten war es fast nachtdunkel und über allem lag eine merkwürdige, graue Trübung. Einfach jedes Gebäude, ohne Ausnahme, hatte geschwärzte Fenster. Vermutlich konnte man hinaus sehen aber nicht hinein. Wohin ich sah, waren die Türen aus massivem Stahl. Es gab keine Bäume, kein Grün, Nichts. Es könnte auch nicht überleben. Alle Fassaden waren grau oder komplett schwarz. Nur wenige hatten noch Farbe. Sie waren von Glas, oder etwas ähnlichem, komplett umhüllt. Wie kostbare Objekte in einem Museum. Sie wirkten prachtvoll und verspielt. Sie erinnerten mich an Puppenhäuser mit Fassaden in Bonbonfarben. Ich drückte den Kopf noch weiter an die Scheibe, um mehr sehen zu können. Ich wollte einfach alles sehen. Mein Blick wanderte nach oben. Unter den größten Plateaus hingen ganze Wohnkomplexe. Sie hingen dort, wie Reben von einem Weinstock. Wenn man alles um sich herum ausblendete hatte man das Gefühl, die
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