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Altenberger Requiem

Altenberger Requiem

Titel: Altenberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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nicht erst den Motor an, sondern nahm meinen Kopf in ihre Hände und begann mich zu küssen, als hätten wir niemals etwas anderes getan.
    Ich schloss die Augen, genoss es und bekam nur vage mit, dass ein Auto neben uns hielt.
    »Sieh an«, sagte eine Stimme. »Schön ist die Jugendzeit.« Sofort waren wir auseinander. Ich wandte den Kopf und sah Dr. Heimlich und Frau Weißenburg, die uns fröhlich zuwinkten.
    »Na, die weiße Blume schon gefunden? Und das Herz? Das haben Sie wohl eher verloren, was? Hahaha.«

6. Kapitel
    Wie lange war es her, dass ich das letzte Mal mit einer Frau zusammen gewesen war? Na ja, so ein bisschen dann und wann. Wenn es mich in Wuppertaler Kneipen verschlug, konnte sich schon mal was ergeben.
    Aber so richtig? So mit allem Drum und Dran? Dass es auf einen zugeflogen kam wie ein unausweichlicher Schicksalsschlag? Dass man sofort denkt: So müsste es immer bleiben?
    Das war sehr lange her.
    Wir waren wieder unterwegs. Wonne folgte den legendären Motorradserpentinen den Berg hinauf und hielt sich Richtung Burscheid. Wir hatten schon den neuen Kreisverkehr erreicht, als mir klar wurde, dass etwas nicht stimmte.
    Auf genau derselben Strecke waren wir vorhin von Solingen hergekommen. Die nächste Aufgabe musste uns doch in Richtung Gummersbach führen. Oder nach Engelskirchen. Nach Wiehl.
    Stattdessen fuhren wir zurück.
    Ich wollte mich gerade umdrehen und nach der Mappe auf dem Rücksitz greifen, als Wonne Gas gab und so schwungvoll aus dem Kreisverkehr hinausfuhr, dass die Unterlagen irgendwo in den Fußraum rutschten.
    »Wohin fahren wir?«, fragte ich.
    »Wermelskirchen.«
    »Bist du sicher, dass das richtig ist?«
    »Ganz sicher.«
    Es ging an den Apfelbaumplantagen vorbei und dann immer weiter auf der Landstraße, an der sich ein Örtchen nach dem anderen aufreihte wie Perlen auf einer Schnur.
    Plötzlich griff Wonne mit der rechten Hand in meinen Nacken und streichelte mich, ohne die Straße aus den Augen zu verlieren. Als wir in ein Wohngebiet kamen, nahm sie die Hand wieder weg, weil sie einen Gang runterschalten musste.
    Sie sah kurz zu mir herüber. »Soll ich dir mal was sagen?«
    »Nur zu.«
    »Das ist der aufregendste Tag meines Lebens. Hoffen wir, dass wir nicht noch mehr Tote unterwegs auflesen. Das würde mich nämlich gewaltig stören.«
    Ich griff das Angebot auf. »Ach? Wobei denn?«
    »Warte ab. Der Tag ist noch lang.«
    »So lang auch wieder nicht.«
    Ich sah auf die Uhr. Es ging schon auf sieben Uhr zu. Wo war der Nachmittag hin? Wir waren als Erste losgefahren, hatten bisher aber nur zwei Aufgaben gelöst. Von insgesamt fünf, wenn ich mich recht erinnerte. Die Zeit schien sich gedehnt und wieder zusammengestaucht zu haben.
    Verknalltheit als Beweis für die Relativitätstheorie. Was wohl Einstein dazu gesagt hätte?
    »Dann eben die Nacht«, knüpfte ich an unser Gespräch an und wagte mich noch ein wenig weiter vor.
    Wonne sagte nichts.
    »Musst du morgen arbeiten?«, fragte ich nach einer Weile des Schweigens. Mittlerweile hatten wir die Auffahrt zur A1 erreicht, ließen sie aber links liegen.
    »Morgen ist Sonntag.«
    »Das heißt nichts.« Ich spielte unser Spiel weiter. Herausfinden, was sie von Beruf war. Vielleicht verriet sie sich. »In meinem Job jedenfalls.«
    »In meinem Beruf heißt das auch nichts, aber morgen tue ich nichts. Zumindest nichts Berufliches.«
    Wahrscheinlich ein freier Beruf, dachte ich. Genau wie bei mir. Wunderbar. Da konnte man sich seine Zeit selbst einteilen.
    Ich schloss die Augen und versuchte, die abendliche Sommerluft als Verheißung eines großen Liebesabenteuers zu empfinden. Man musste den Dingen Sinn geben. Das hatte Jutta immer gesagt, als sie mal ein Semester Philosophie studiert hatte. Vorübergehend. Als fünfundvierzigjährige Gasthörerin.
    Man musste sich klar werden, was die Dinge für einen bedeuteten. Nicht einfach nur blind genießen. Sondern den Geist mitarbeiten lassen.
    Ich muss gestehen, dass ich diese Weisheit damals nicht so richtig verstanden hatte. Welche Bedeutung hatte denn zum Beispiel ein kühles Bier? Außer eben ein kühles Bier zu sein?
    Aber jetzt wurde mir klar, was sie gemeint hatte. Der Sommerwind, der nach Wiesen, aber auch ein bisschen nach dem Staub der Straße, nach heißem Asphalt und nach Abgasen roch, bedeutete nicht einfach Sommer, sondern den Beginn eines herrlichen Liebessommers. Der Geruch würde mich immer und ewig daran erinnern. Egal, was kam. Und egal, ob eine gute oder eine

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