Altenberger Requiem
falsche Bescheidenheit. Man kennt Sie doch. Sie haben schon einige Fälle in der Gegend gelöst. Und ein Rechtsanwalt, der Hilfe benötigt, kann sich glücklich schätzen, wenn er Sie beauftragen darf.«
Wenn das stimmte, müssten sich die Auftragsanfragen eigentlich häufen, dachte ich. Ein Seitenblick zu Wonne zeigte mir, dass sie damit zu tun hatte, dass diese Frau so über mich dachte. Auf irgendeine Weise war es ihr gelungen, Frau Dr. Rath meine Leistung zu verkaufen wie eine gerissene Agentin.
»Das ist sehr nett von Ihnen. Aber lassen Sie uns die Details klären. Der Verdacht gegen Reinhold Hackenberg muss ziemlich stark sein, wenn man ihn so schnell verhaftet hat. Worauf ist er begründet?«
Dr. Rath zog die Augenbrauen hoch. »Da treffen Sie genau den richtigen Punkt. Ehrlich gesagt, sieht es tatsächlich nicht gut aus. Nach der Sachlage wurde Klara morgens getötet. Wahrscheinlich so gegen acht Uhr. In ihrem Rücken steckte ein Messer, von denen es mehrere in Klaras Haus gab. Ein scharfes Fleischmesser aus einem dieser Sets, die man in einem Holzblock aufbewahrt. Genau dieses Messer fehlte in Klaras Haus. Außerdem wurde Reinholds Auto zur Tatzeit auf dem Parkplatz Rösberg gesehen, also ganz in der Nähe des Tatorts.«
Ein Messer in ihrem Rücken? Das hatten wir nicht bemerkt. Wahrscheinlich war es von Unterholz verdeckt gewesen.
»Der Täter hat nicht nur von hinten zugestochen, sondern auch von vorne«, fuhr Sabine Rath fort. »Den Ablauf hat die Polizei auch schon einigermaßen rekonstruiert. Sie geht davon aus, dass Klara Hackenberg morgens runter nach Altenberg gefahren ist; ihr eigener Wagen stand ebenfalls auf dem Parkplatz Rösberg. Reinhold soll ihr gefolgt sein und sie getötet haben. Nach vollbrachter Tat sei er wieder nach Hause gefahren.«
»Was hat Frau Hackenberg so früh am Morgen dort gemacht?«
»Gebetet. Das heißt, sie hatte es vor. Sie fuhr fast jeden Tag morgens nach Altenberg. Sie war immer eine der Ersten, die in den Dom gingen. Er öffnet um acht Uhr.«
Ich überlegte. Die Version der Polizei war nach den Indizien schlüssig. Aber es blieben Fragen. Wenn Reinhold auch nur einen Funken Verstand besaß, wäre er bei seiner Mordplanung anders vorgegangen. Aber wer sagte, dass Mörder intelligent sein mussten?
Wonne schaltete sich ein. »Wenn Frau Hackenberg in den Dom wollte - was hat sie dann auf dem Spielplatz gemacht?«
»Vielleicht finden Sie es heraus.«
Mir fiel etwas ein, was ich eben schon fragen wollte. »Sie nennen Frau Hackenberg beim Vornamen. Kennen, ich meine, kannten Sie sie näher?«
»Meine Eltern waren mit ihr befreundet. Als Kind habe ich sie Tante Klara genannt. Als ich Anwältin wurde, habe ich sie ein paarmal beraten. Bei Hausverkäufen und Ähnlichem. Und als Reinhold jetzt verhaftet wurde, hat er sich daran erinnert und mich benachrichtigt.«
»Erzählen Sie uns mehr von ihr«, nahm mir Wonne die Worte aus dem Mund.
»Sie lebte mit ihrem Sohn zusammen, mit dem sie allerdings überhaupt nicht zurechtkam. Unten wohnt er, oben sie. Früher hat sie als Sekretärin in Bensberg gearbeitet, das ist aber schon eine Weile her. Sie war siebenundsiebzig Jahre alt.«
»Was heißt das, sie kam mit ihrem Sohn nicht zurecht?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich fange mal so an: Obwohl Klara fast schon übertrieben religiös war, ist Reinhold ein uneheliches Kind gewesen.«
»Also eine Art Fehltritt«, stellte Wonne fest.
»Nach ihrer Auffassung bestimmt. Jedenfalls gab es nie einen Vater dazu. Er kam einfach nicht vor. Klara zog Reinhold allein groß, doch als Reinhold sechzehn, siebzehn war, geriet er auf die schiefe Bahn. Er brach die Schule ab, und die Jahrzehnte seitdem waren ein einziges Hin und Her: Strafen wegen Einbruch und Autodiebstahl. Arbeitslosigkeit. Gelegentliche Jobs als Hilfsarbeiter. Ewiger Streit mit der Mutter.« Sie sah in ihre Akte. »Auch das ist übrigens amtlich. Ein Zeuge, der ein Haus weiter wohnt, hat mitbekommen, dass es am Freitagabend wieder einmal Auseinandersetzungen im Hause Hackenberg gab. Man hörte es durch die offenen Fenster. Reinhold gab öfter Anlass zu Ärger, weil er seine Computerspiele immer so laut stellte, dass man glaubte, man sei auf einem Schlachtfeld. So hat es der Nachbar ausgesagt.«
»Das haben wir auch mitbekommen«, sagte ich.
Dr. Rath sah mich an. »Reinhold lebte also von seiner Mutter. Er hat kein eigenes Geld verdient. Er ist eine verkrachte Existenz. Sie dagegen war immer fleißig und sparsam.
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