Altenberger Requiem
rostiger kleiner Opel stand immer noch da.
Ich blätterte noch einmal in der Akte.
»Seltsam«, sagte ich.
»Was ist denn?«, fragte Wonne.
»Hackenberg sagte, er und seine Mutter hätten je einen Haustürschlüssel. In der Akte steht aber, dass Klara Hackenberg keinen dabeihatte, als man sie fand.«
Ich griff nach meinem Handy, um die Anwältin anzurufen, und stellte fest, dass ich es nicht dabeihatte. Wonne und ich waren heute Morgen so schnell aufgebrochen.
»Kann ich mal dein Telefon haben?«, fragte ich.
Wonne reichte es mir.
»Du hast doch sicher die Nummer von Frau Rath.«
»Klar, ist eingespeichert. Im Telefonbuch.«
Ich klickte mich durch die Liste. Als ich den Namen »Mathisen« entdeckte, stutzte ich.
Wonne hatte die Telefonnummer des Tenors von Juttas Fete in ihrem Handy? Warum?
»Was hast du?«, fragte sie.
Sollte ich sie fragen? Irgendetwas in mir warnte mich. Nein. Keine Einmischung in Privatangelegenheiten.
»Ach nichts …«
Es ging mich ja auch nichts an. Vielleicht war es ein ganz anderer Mathisen.
Ich fand die Nummer von Frau Dr. Rath und wählte sie. Der Ruf ging durch, aber niemand hob ab.
Wonne steckte das Handy wieder ein. »Was wolltest du sie denn fragen?«
»Wenn jemand anders als Hackenberg der Mörder ist, und wenn Hackenbergs Wagen wirklich in der Nähe des Tatorts war, muss jemand an den Schlüssel gekommen sein. Hackenberg sagte, dass zwei Schlüssel für das Auto am Brett hängen, wenn er zu Hause ist. So wie gestern.«
»Dann hat der Täter am Morgen oder in der Nacht den Schlüssel geklaut. Er hat den Wagen genommen, unten in Altenberg den Mord begangen und das Auto wieder raufgebracht, um so Hackenberg alles in die Schuhe zu schieben. Das ist ganz schön riskant. Er hätte leicht gesehen werden können.«
»Hier oben kann man damit Glück haben«, überlegte ich. »Sobald man aus dem Auto ausgestiegen ist, wird man zum harmlosen Spaziergänger. Was mich am meisten beschäftigt, ist die Frage, wie der Täter ins Haus gekommen ist. Wenn Klara Hackenberg den Schlüssel nicht hatte, könnte sie darauf vertraut haben, dass ihr Sohn zu Hause ist, um sie reinzulassen. Das passt aber nicht. Immerhin ist er ein Langschläfer. Und so schlecht, wie die sich verstanden haben … Vielleicht hat sie ihn irgendwo deponiert. Manche Leute machen so was.«
»Und jetzt?«
»Umschauen.«
Ich probierte die Haustür. Natürlich war sie abgeschlossen. Die kleinen Fenster sahen von Weitem alt aus, aber bei näherer Betrachtung erwiesen sie sich als modern: Doppelverglasung. Sicherungen mit Bolzen.
»Eingebrochen ist hier offenbar niemand«, stellte Wonne fest.
Wir sahen uns weiter um. Die Rasenfläche neben dem Gebäude war nicht eingezäunt. So gelangten wir ungehindert auf die Rückseite. Hier gab es ein paar Gartenstühle und eine Wäschespinne, weiter hinten Gebüsch. Und ein Stück entfernt noch ein Haus, dessen Dach aus dem Grün aufragte.
Auch auf der Rückseite waren die Fenster gesichert. Die Terrassentür ebenfalls. Ich trat an das Glas heran und versuchte, innen etwas zu entdecken. Ich blickte in ein ziemlich unaufgeräumtes Wohnzimmer. Ein fleckiges Sofa vor einer kahlen Wand. Ein riesiger Fernseher mitten im Raum, hinter dem sich die Kabel knäulten. Ein PC-Tisch mit Geräten. Auf dem dunklen Holzboden lagen DVD-Hüllen verstreut. Das war eindeutig Reinholds Reich.
»Na, der Junge hat ja einen interessanten Filmgeschmack«, sagte Wonne.
Meine Augen waren deutlich älter als ihre. Wahrscheinlich erkannte sie deshalb mehr als ich. Ich nahm die DVD-Cover noch einmal schärfer ins Visier. Schließlich gelang es mir, weibliche Brüste, Hintern und gespreizte Beine zu erkennen.
»Kein Wunder, dass die Mutter sich mit dem nicht verstanden hat«, stellte ich fest.
»Was machen Sie denn da?«
Wir fuhren herum. Ein Gesicht hing in den Büschen zum Nachbargrundstück. Es war rund und hell wie ein Lampion - allerdings trug der Lampion eine dicke Brille und eine glatte Männerfrisur mit strengem Seitenscheitel.
»Es ist verboten, dieses Grundstück zu betreten!« Äste raschelten, der Mann schälte sich aus dem Laub, und mit wenigen Schritten stand er vor uns: Flanellhemd, Kniebundhose, Wollsocken, Wanderschuhe.
»Wenn das so ist«, sagte ich, »dann gehen Sie doch wieder dahin, wo Sie hergekommen sind.«
»Werden Sie mal nicht frech. Wer sind Sie überhaupt?«
»Und wer sind Sie?«
»Geht Sie gar nichts an.«
»Sie sind wahrscheinlich derjenige, der den Streit
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