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Altenberger Requiem

Altenberger Requiem

Titel: Altenberger Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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ein Haufen Klebebandrollen.
    »Warum machen Sie das?«, fragte ich, immer noch fassungslos. Irgendetwas sagte mir, dass die Frau nicht einfach nur an Geschmacksverirrung litt.
    »Um mich zu schützen, das habe ich Ihnen doch gesagt. Wir sind in großer Gefahr.«
    »Aber wovor? Was ist es, was Sie bedroht?«
    Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern und deutete nach oben. »Die Antenne«, raunte sie mir zu, als sei die technische Anlage ein Ungeheuer, das uns belauschte. »Sie strahlt mit Milliarden Energieeinheiten. Sie brennt und brennt und macht uns verrückt. Wer hier wohnt, wird krank, wenn er sich nicht schützt. Man schläft schlecht, und man bekommt Kopfschmerzen. Oder sogar Krebs.«
    »Und die Alufolie schützt Sie?«
    »Sie sehen ja, wie gut es mir geht.«
    »Warum ziehen Sie nicht einfach weg?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das nützt nichts. Sie sind überall. Sie bilden ein Netz. Ein Spinnennetz. Und wir sind darin gefangen.«
    »Ein Spinnennetz? Was für Spinnen?«
    Sie runzelte nachdenklich die Stirn. »Eigentlich ähneln sie eher Bienen. Die Felder des Netzes sind wabenförmig. Man kann nie außerhalb der Waben sein. Wenn man die eine Wabe verlässt, kommt man sofort in die daneben und wird von der nächsten Antenne angestrahlt.«
    »Ich bin froh, dass Sie ein Mittel gefunden haben, um sich zu schützen«, sagte ich, obwohl ich ihr lieber einen Vogel gezeigt hätte.
    »Mein Sohn hat mir das genau erklärt.«
    »Das mit der Alufolie?«
    »Nein, das mit den Waben. Er ist sehr klug, wissen Sie … Aber ich mache mir Sorgen um ihn. Nachdem er mir gesagt hat, dass man sich mit der Folie schützen kann, ist er ausgezogen und kommt gar nicht mehr.«
    »Wo ist er denn hingezogen?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe aber seine Telefonnummer.«
    »Könnten Sie sie mir bitte geben?«
    Eine kleine Wolke aus elektronischer Musik drang aus meiner Hosentasche und füllte den Raum.
    Frau Büchel wirkte plötzlich, als füge ihr irgendjemand oder irgendetwas körperliche Schmerzen zu. Sie hielt die Hände an die Schläfen und schloss die Augen.
    »Ihr Handy«, rief sie und wand sich. »Stellen Sie es ab! Bitte.« Erschöpft wie nach einem Ringkampf ließ sie sich auf das kleine Sofa fallen.
    Ich blickte auf das Display. »Entschuldigen Sie, es ist nur meine Tante.«
    Sie hob die Hände. »Ich flehe Sie an. Es ist egal, wer es ist. Es frisst uns auf. Bitte …«
    Mit einem Knopfdruck war Jutta weg, und das Handy verstummte. Verdammt, dachte ich. Jutta hat ein Problem. Und dauernd würge ich ihren Anruf ab.
    Auf Frau Büchels Stirn waren Schweißtropfen zu sehen. Sie empfand tatsächlich Unbehagen. Ich hatte den dringenden Wunsch, diesen Ort zu verlassen.
    »Haben Sie die Adresse oder die Nummer von Ihrem Sohn? Dann sind Sie mich auch gleich wieder los.«
    Sie nickte, stand auf, und wir kehrten zum Ausgang zurück.
    »Ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt. Er hat nur dieses Teufelsding, dieses Handy. Und da rufe ich ihn nicht so gerne an.«
    Sie zeigte mir einen Zettel, auf dem eine Telefonnummer notiert war.
    »Das ist aber ein Festnetzanschluss. Mit Bergisch Gladbacher Nummer«, sagte ich.
    »Alles wird heute über diese Antennen geleitet. Es wird unkontrollierbar.«
    »Aber Sie haben ja Ihre Folie. Sie sind geschützt.«
    Sie nickte erleichtert. »Genau.«
    »Danke für Ihre Hilfe.«
    »Grüßen Sie Matze von mir. Sagen Sie ihm, dass ich mir Sorgen mache. Dass er mal wieder vorbeikommen soll.«
    Wieder unten stellte ich mich vor das Schaufenster des Matratzengeschäfts und rief Jutta zurück. Während es tutete, blickte ich versonnen auf ein Beet Stiefmütterchen mitten im Bürgersteig. Jemand hatte versucht, diese hässliche Vorstadtecke zu verschönern. Von gegenüber kämpfte sich ein leckerer Duft nach Gebratenem durch die Abgase der Straße zu mir. Gleich zwei Lokale lagen nebeneinander: der Schlebuscher Grill an der Ecke und daneben der Jägerhof.
    Normalerweise hätte ich nicht gezögert, mir dort etwas ordentlich Fleischiges reinzuziehen - ergänzt von meinem Lieblingsgemüse: Fritten.
    Aber ich dachte an Wonne und ihre kulinarischen Verheißungen. Sie stand gerade in der Küche, hatte sie gesagt. Und sie kochte für uns. Ich hing diesem Gedanken ein Weilchen nach, da meldete sich Jutta.
    »Wird Zeit«, maulte sie.
    »Entschuldige. Ich konnte nicht sprechen.«
    »Du bist in einem Fall, stimmt’s? Und du sagst mir nichts davon.«
    Ich ging ein paar Schritte in Richtung des Fußgängerwegs, den ich

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