Altenberger Requiem
Hell. Metallisch.
Ich klopfte energisch. »Herr Büchel. Sind Sie zu Hause?«
Wieder dieses »Patsch, patsch, patsch«, hektischer diesmal.
Ich versuchte mir vorzustellen, was da drin vor sich ging, aber es gelang mir nicht. Ich bekam zu dieser Klanguntermalung kein Bild in den Kopf.
»Patsch, patsch, patsch«.
Jetzt schien es sich zu entfernen. Langsam dämmerte mir, was das sein konnte. Aber das war eigentlich unmöglich.
»Herr Büchel?« Ich klopfte wieder. »Hallo?«
Irgendwo auf dem Gang war etwas zu hören. Eine Wohnungstür war geöffnet worden. Ich wandte mich um, konnte aber nichts sehen, weil der Flur eine Biegung machte.
Ich hatte schon die Faust geballt, um erneut zu klopfen, da ging vor mir die Tür auf. Nur einen Spalt. Dahinter betrachteten mich große dunkle Augen. Dunkelbraune, fast schwarze gelockte Haare umrahmten ein rundes Gesicht.
Es war eine kleine, zerbrechliche Frau. Hinter ihr war es hell. Gleißendes Licht drang auf den Flur.
»Ja, bitte?«, sagte sie heiser und räusperte sich, als hätte sie seit Ewigkeiten mit niemandem mehr gesprochen.
»Mein Name ist Rott. Ich suche Matthias Büchel«, erklärte ich. »Bin ich hier richtig?«
»Matthias wohnt nicht mehr hier. Tut mir leid.«
Sie wollte die Tür schließen, aber ich drückte gegen das Türblatt. Die Frau schrie auf, und ich sagte schnell: »Es ist wichtig. Könnten Sie mir seine Telefonnummer geben? Sie sind wahrscheinlich seine Mutter, oder?«
Sie nickte abweisend, ließ die Tür aber offen. »Sind Sie von der Polizei?«, fragte sie.
»Nein. Es geht um einen seiner Freunde. Keine Sorge, es hat nichts mit Matthias selbst zu tun.« Den zweiten Satz sagte ich einfach so dahin. Eigentlich war er ja gelogen. Im Grunde war ich auf der Suche nach einer Verbindung zwischen dem Mordfall und Matze.
»Darf ich vielleicht reinkommen?«, fragte ich.
»Muss das sein?«
»Es wäre dann leichter, sich zu unterhalten.«
Sie sah mich unsicher an. Überlegte.
»Sie sind ungeschützt«, sagte sie.
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sind ungeschützt«, wiederholte sie. »Und Sie stehen schon viel zu lange hier. Sie müssen sich unbedingt schützen. Warten Sie, ich gebe Ihnen was.«
Sie drückte die Tür zu. Was war hier los? Wovor musste ich mich schützen? Hielt die Frau exotische Tiere?
Von so etwas hatte ich schon gehört. Schlangen, Krokodile, Vogelspinnen, Wildkatzen - all so was hatten manche Leute in ihrer kleinen Wohnung. Zum Schrecken der Nachbarn, der Vermieter und natürlich der Tiere selbst, denn das war alles andere als eine artgerechte Unterbringung.
Die Tür ging wieder auf, Frau Büchel kam zurück. Wieder fiel mir das eigenartig helle Licht auf, das aus der Wohnung drang. Als glitzere es darin.
Sie hob die Arme und wollte mir etwas über den Kopf ziehen, aber sie war zu klein. »Ich komme nicht dran«, sagte sie und lächelte. »Das müssen Sie tragen, sonst sind Sie in großer Gefahr.«
Ich betrachtete, was sie mir gegeben hatte. Es war eine zusammengeknüpfte Kordel. An dem einen Ende hing an einem kleinen Extrafaden ein aus Alufolie ausgeschnittener Stern. Er erinnerte mich an die Dinge, die wir als Kinder zu Weihnachten gebastelt hatten. Damals hatten wir allerdings buntes Glanzpapier verarbeitet; das Silber wirkte dagegen ein wenig profan.
»Sind Sie sicher, dass das nötig ist?«
»Kommen Sie. Es reicht auch, wenn Sie den Katalysator in der Hand halten.«
Sie zog mich in die Wohnung und schloss die Tür - und mit einem Mal hatte ich das Gefühl, mich in einer anderen Welt zu befinden.
Von überallher spiegelte es. Die Wände waren Spiegel, die Innenseite der Wohnungstür bestand aus Spiegeln. Sogar der Fußboden war verspiegelt, doch die Fläche war an einigen Stellen verschmutzt und aufgerissen. Und jetzt erkannte ich auch, dass es keine Glasspiegel waren, mit denen die Wohnung ausgekleidet war, sondern viele Quadratmeter von Alufolie.
»Hier geht’s lang.«
Wir folgten einem Pfad durch den spiegelnden Gang, und weil die Folie auf dem Boden nur lose verlegt war, machte es bei jedem Schritt »patsch«. Wir passierten den Eingang zum Wohnzimmer, wo noch Bahnen von Silberpapier fehlten. Frau Büchel war hier sozusagen gerade beim Tapezieren. In der einen Ecke stapelten sich Alu-Rollen aus dem Supermarkt. Einige Fetzen hingen von der Wand herunter. Es war offenbar nicht so leicht, das Zeug zu befestigen. Auf einem kleinen Sofa, das auf der Aluunterlage wie auf einem glänzenden Quecksilbersee stand, lag
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