Altenberger Requiem
haben mir die Karten spendiert.«
»Wo du ja jetzt so arm bist, dass du dir keine mehr leisten kannst.«
»Genau.«
Wir verabschiedeten uns. Die winzige Neckerei mit Jutta hatte mir geholfen, aber als ich nun aufgelegt hatte, wurde die Welt wieder grau.
Ich quälte mich durch den Berufsverkehr bis nach Mettmann. Als ich in Mannis Einfahrt einbog, sah ich es schon rot zwischen dem grünen Laub der Büsche leuchten.
Wonnes Wagen stand da. Sie selbst saß auf der Stufe, die zur Haustür führte. Die Ellenbogen aufgestützt, ihre Hände trugen den Kopf. Sie sah aus wie ein Häufchen Elend.
Als ich ausstieg, stand sie auf und klopfte sich den Staub von der Hose.
Sie kam auf mich zu, legte die Arme auf meine Schultern und küsste mich. Dann ließ sie mich wieder los - vorsichtig, wie etwas, das man nicht kaputt machen will.
»Wir müssen reden«, sagte sie nur.
»Hast du mich gesehen?«
»Was meinst du?«
»Bei Mathisen. Ich war in der Agentur, und da bist du rausgestürmt.«
Sie sah mich ungläubig an. »Das hast du mitbekommen?«
»Ich stand vor dem Tor, und du warst so sauer … und da kam Mathisen dir nach …«
Ich brach ab, sah sie an. Ihr Blick war immer noch auf mich gerichtet, und nun war es vollkommen verschwunden, dieses herrliche sonnige Lächeln. Wonne - ohne Sonne.
Und ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde in mir alles ersterben, als würde sich über alles Schöne, was ich in den letzten Tagen empfunden hatte, Mehltau legen.
Wir müssen reden, hatte Wonne gesagt.
Und das konnte nur eines bedeuten: Es war aus. Da lief irgendwas mit Mathisen, was alles zunichtemachte …
»Gehen wir rein«, sagte sie.
»Halt.« Ich stellte mich vor die Tür. »Sag mir erst, worüber du reden willst. Über uns?«
»Über uns? Nein. Es geht nicht um uns.«
Ein Funke Lächeln. Ein sehr kleiner zwar, aber …
»Es geht um meine Mutter.«
»Das heißt, eigentlich geht es um meinen Vater«, ergänzte sie, als wir uns im Wohnzimmer auf das ungemein bequeme und ebenso gigantische Sofa gefläzt hatten.
Ich sah sie an. Sie wirkte nicht verwirrt, sie wusste nur nicht, wie sie anfangen sollte.
»Wie meinst du das?«
»Ich habe nie erfahren, wer mein Vater war. Meine Mutter wollte es mir nie sagen. Und letztes Jahr …«
»… ist sie gestorben. Ich weiß.«
»Und ich habe Unterlagen gefunden. Briefe, die sie Männern geschrieben hat. Mehreren, verstehst du? Mehreren Männern, meine ich.«
»Ich verstehe.«
»Sie war Fotografin. Sie hat für die Werbeagentur gearbeitet, bei der auch Jutta früher beschäftigt war.«
»Und?«
»Sie musste alle möglichen Typen fotografieren, und sie ist wohl haufenweise mit ihnen ins Bett gegangen.«
Die wilden Siebziger, dachte ich. Lockere Zeiten. Kein Aids. Zumindest wusste man noch nichts davon.
»Worauf willst du hinaus?«, fragte ich.
»Ich … ich habe gedacht, Mathisen sei mein Vater.«
Meine Unruhe sank in sich zusammen. Der Klotz in meinem Magen löste sich auf.
»Bist du sicher?«
»Nein. Aber sie haben sich gekannt. Ich habe die Briefe gelesen und mir ausgerechnet, dass es zeitlich passte. Und heute bin ich zu ihm gefahren …«
Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Ich konnte nicht erkennen, ob sie weinte.
»Du hast ihm deinen Verdacht einfach an den Kopf geknallt. In seiner eigenen Firma, womöglich im Beisein seiner Mitarbeiterin oder seiner Frau … Und er war nicht begeistert, wie man sich vorstellen kann.«
Jetzt verstand ich auch, was Wonne auf der Party wollte.
»Du bist auf den letzten Drücker zu Juttas Geburtstagsfeier gekommen, weil du erfahren hast, dass Mathisen da sein würde.«
Sie nickte. »Ich wusste, dass Jutta ihn kennt. Und als die Einladung zur Party kam, habe ich das Interview mit ihm vereinbart. Er sagte mir frei heraus, dass er zu einer privaten Feier ins Rheinland kommen würde, und da brauchte ich nur eins und eins zusammenzuzählen. Als ich dann bei der Feier aufgetaucht bin, hat er mich nicht einordnen können, weil er mich ja nicht kannte.«
»Und du hast schon vor dem vereinbarten Interviewtermin auf eine Gelegenheit gewartet, mit ihm zu sprechen.« Mir fiel ein, was ich gesehen hatte, als ich von der Feier zurückgefahren war. Wonnes Fiat in einer Einfahrt. »Du hast an dem Abend der Party irgendwo gewartet, um rauszukriegen, in welchem Hotel er wohnt. Aber das funktionierte aus irgendeinem Grund nicht. Deshalb hast du ihn in der Agentur zur Rede gestellt.«
Sie sah mich an. »Du bist echt clever, Remi. Ja, es
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