Altenberger Requiem
leisten, mit einer jungen Geliebten in Salzburg aufzutauchen. Vielleicht hat sie ihn erpresst, was weiß ich … Jedenfalls hat er sie umgebracht und die Leiche versteckt. Und Klara Hackenberg war drauf und dran, diesen Mord von damals aufzudecken.«
»Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?«, ereiferte sich Jutta. »Das ist alles reine Spekulation.«
Ich blieb ruhig. »Jutta, jetzt versuch doch mal deine persönliche Bekanntschaft mit Mathisen beiseite zu lassen. Wenn dir das gelingt, wird dir klar, dass wir recht haben. Oder zumindest recht haben könnten. Dass man dem nachgehen muss.«
Sie sprang auf, offenbar hatte sie ein ähnlicher Bewegungsdrang überfallen wie Wonne. Der Effekt war, dass ich nun zu beiden Frauen aufsehen musste. Das gefiel mir nicht, also stand ich ebenfalls auf.
»Wie hätte das denn ablaufen sollen?«, fragte Jutta aufgebracht. »Woher hätte Siegfried die genauen Gewohnheiten von Klara Hackenberg kennen sollen? Wie ist er an Reinhold Hackenbergs Auto gekommen?« Sie lachte nervös. »Ja, nicht nur das: Er musste ja auch am frühen Samstagmorgen irgendwie nach Tente kommen - und das ohne eigenen Wagen, denn der hätte ja gesehen werden können, Und dann brauchte er auch noch das Messer aus dem Haus. Gut, das hätte er ja gleich mit dem Autoschlüssel nehmen können, da gebe ich dir recht…«
Sie atmete schwer. Ich wagte nicht, etwas zu sagen. Auch Wonne schwieg. Schließlich kam Jutta wieder zur Besinnung und sah uns erstaunt an.
»Soll das heißen, ihr glaubt wirklich … Remi, sag, dass das nicht wahr ist.«
»Klara Hackenberg kann sich auf einer ihrer Reisen nach Österreich mit ihm getroffen haben. Auch wenn sie noch nicht ahnte, dass er Gabrieles Mörder ist, wusste sie, dass er mit ihr zusammengelebt hatte. Dabei kann er von ihren Gewohnheiten, morgens den Dom zu besuchen, erfahren haben. Und alles andere ist ebenfalls möglich, Jutta. Man kann auf viele verschiedene Arten morgens von Köln nach Tente kommen. Zum Beispiel mit dem Bus.«
»Siegfried in einem Bus?« Sie lachte. »Da hätte ihn ja jeder gesehen.«
»Man kann sein Äußeres verändern. Vielleicht ist er auch schon am späten Abend vorher hingefahren und hat bis zum Morgen gewartet.«
Jutta wirkte plötzlich wie versteinert. »Remi - wenn du das weiterverfolgst, und es wird bekannt, dann gibt das einen Skandal. Ist dir das klar?«
»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen, Jutta. Es tut mir leid. Ich verspreche dir, ich halte mich nur an Fakten. Ich werde auch nicht gleich zur Polizei gehen, sondern erst mit Mathisen reden. In Ordnung?«
»Du bist auf der falschen Fährte. Gib es auf. Hackenberg ist der Mörder. Niemand sonst.«
»Nur reden, Jutta.«
Plötzlich standen wir uns auf dem Rasen wie zwei Revolverhelden gegenüber, die sich auf der breiten, staubigen Straße der Westernstadt zum Duell verabredet hatten.
»Und tu mir einen Gefallen«, fügte ich hinzu. »Halte dich raus. Sprich mit Mathisen nicht darüber. Ich werde das alles noch mal genau durchgehen.« Eigentlich hatte ich »mit Wonne durchgehen« sagen wollen, aber das hätte Jutta sicher noch mehr gereizt.
»Was grinst du so?«, fragte Jutta. »Weißt du was, Remi? Lass mich in Ruhe. Natürlich werde ich mit Siegfried nicht darüber reden. Ich mache mich doch nicht lächerlich.«
Offenbar hatte meine unwillkürliche Reaktion für den letzten Tropfen gesorgt, der das Fass zum Überlaufen brachte. Starren Blickes setzte sich Jutta in Bewegung und stapfte in Richtung Haus.
Kurz darauf knallte die Autotür, und der Motor ihres Wagens heulte auf.
Wonne kam zu mir. »Du bist ein Held«, sagte sie.
»Wie meinst du das?«
»Jemand, der so sehr seinen Ideen folgt und dafür sogar einen Krach in Kauf nimmt, kann nur ein Held sein, findest du nicht?«
Ich küsste sie. »Es tut mir leid, dass es jetzt doch wieder um Mathisen geht.«
»Schon okay.« Ich versuchte, ihren Blick zu lesen. Und ich fand darin etwas Ähnliches wie bei Jutta. Wonne wollte es Mathisen heimzahlen, Jutta wollte ihn schonen. Beide waren emotional in die Sache verstrickt.
Der Einzige, der den objektiven Überblick behielt, war ich -der Held.
Dachte ich jedenfalls.
»Immer langsam, wir sind hier nicht bei ›Miami Vice‹«, rief ich, als Wonne mit quietschenden Reifen vor der Einmündung zur Hauptstraße bremste.
»›Miami Vice‹? Ist das nicht eine Krimiserie aus dem Mittelalter?«
Ein Pulk Motorradfahrer zog aus Richtung Mettmann vorbei. Als sie in der Ferne
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