Alter Adel rostet nicht
man das, glaube ich, nicht sehen. Als ich noch in Oxford studierte, habe ich selbst mal einem Bobby den Helm geklaut.«
Mir blieb die Spucke weg. Bisher hatte rein gar nichts darauf hingedeutet, daß auch dieser Mann einst, wie man so sagt, in Arkadien gewesen war. Aber da kann man mal wieder sehen, daß auch im Schlechtesten von uns noch irgendwo etwas Gutes steckt.
Der alte Bassett war sichtlich verdattert. Aber dann faßte er sich wieder.
»Und was ist mit der Sache im Antiquitätenladen? Hä? Haben wir ihn da nicht gefaßt, wie er gerade mit meinem Sahnekännchen weglaufen wollte? Was sagt er dazu?«
Das schien auf Spode Eindruck zu machen. Er nahm den Flintenlauf, an dem er wieder herumgeknabbert hatte, aus dem Mund und nickte.
»Der Verkäufer hatte mir das Kännchen zum Ansehen gegeben«, sagte ich barsch. »Er sagte, ich solle damit nach draußen gehen, weil es dort heller sei.«
»Sie kamen aber herausgerannt.«
»Herausgestolpert. Ich bin über die Katze gefallen.«
»Was für eine Katze?«
»Vermutlich das Haustier des kaufmännischen Angestellten dieser Altwarenhandlung.«
»So? Ich habe aber keine Katze gesehen. Haben Sie eine Katze gesehen, Roderick?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Aha! Na, wir wollen über diese Katze mal hinweggehen …«
»Mir ist das leider nicht gelungen«, sagte ich mit der mir eigenen Schlagfertigkeit.
»Wir wollen über diese Katze mal hinweggehen«, wiederholte der alte Bassett, ohne meine kleine Wortspielerei zu beachten, »und auf etwas anderes zu sprechen kommen. Was machten Sie eigentlich mit dem Sahnekännchen? Sie behaupten, Sie hätten es sich nur ansehen wollen. Wollen Sie damit etwa sagen, es habe sich lediglich um eine harmlose Inaugenscheinnahme gehandelt? Welchen Zweck hätten Sie denn damit verfolgt? Was war Ihr Motiv? Welches Interesse sollte ein Mann wie Sie an einem silbernen Sahnekännchen haben?«
»Sehr richtig«, sagte Spode. »Genau das wollte ich auch gerade fragen.«
Diese moralische Unterstützung durch seinen Spezi hatte eine verheerende Auswirkung auf den alten Bassett. Er fühlte sich dadurch so bestärkt, daß er sich nun völlig der Illusion hingab, wieder in seinem verdammten Polizeigericht zu sein.
»Sie geben an, der Geschäftsführer habe Ihnen das Kännchen ausgehändigt. War es aber nicht vielmehr so, daß Sie es sich gegriffen haben und damit verschwinden wollten? Und gerade eben hat Mr. Spode Sie mit dem fraglichen Gegenstand in Händen überrascht. Wie erklären Sie sich das? Was haben Sie dazu zu sagen? Hä?«
»Aber Papa!« sagte Madeline.
Sie werden sich vermutlich schon gewundert haben, weshalb dieses Schaf nicht längst den Mund aufgemacht hatte, während ich derart in die Mangel genommen wurde. Die Erklärung ist einfach. Kurz nachdem sie zu Beginn der eben geschilderten Auseinandersetzung »So ein Unsinn!« gesagt hatte, war ihr irgendein Tierchen in die Luftröhre geraten, und seitdem hatte sie irgendwo im Hintergrund leise gehustet und geröchelt. Und da die Situation viel zu angespannt war, als daß wir uns um röchelnde Mädchen hätten kümmern können, war sie gezwungen, mit ihrem Problem allein fertig zu werden, dieweil wir Männer unsern Disput fortsetzten.
Jetzt trat sie zu uns. Ihre Augen tränten noch ein bißchen.
»Aber Papa!« sagte sie. »Es ist doch ganz natürlich, daß Bertie sich so bald wie möglich dein Silber ansehen wollte. Er interessiert sich sehr dafür. Schließlich ist Bertie der Neffe von Mr. Travers.«
»Wa-as?!«
»Wußtest du das nicht? Dein Onkel besitzt doch eine ganz einmalige Sammlung, nicht wahr, Bertie? Und sicherlich hat er dir auch oft von Papas Kollektion erzählt.«
Es entstand eine Pause. Der alte Bassett keuchte schwer, und bei seinem Anblick wurde mir ganz mulmig. Sein Blick wanderte von mir zu dem Sahnekännchen, vom Sahnekännchen zu mir und dann wieder von mir zurück zum Sahnekännchen, und man mußte nicht über Bertrams Beobachtungs- und Kombinationsfähigkeit verfügen, um zu wissen, was in seinem Kopf vorging. Wenn ich jemals einen dabei beobachtet habe, wie er zwei und zwei zusammenzählte, dann war es Sir Watkyn Bassett.
»So …?« sagte er.
Nur das. Sonst nichts. Aber es genügte.
»Ach«, sagte ich, »könnte ich hier irgendwo ein Telegramm aufgeben?«
»Du kannst es von der Bibliothek aus telefonisch durchgeben«, sagte Madeline. »Ich bringe dich hin.«
Sie geleitete mich zum Fernsprechapparat und sagte, sie werde unten in der Halle warten, bis
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