Alter Adel rostet nicht
energisch. Was zu weit geht, geht zu weit. »Gussie, du verlangst doch nicht etwa, daß ich Stiffy an den Busen grapsche?«
»Doch.«
»Nun, das werde ich nicht tun.«
»Und warum nicht?«
»Wir wollen jetzt nicht meine Gründe erörtern«, sagte ich frostig. »Es reicht, wenn ich dir sage, daß das nicht in die Tüte kommt.«
Er warf mir einen stummen, vorwurfsvollen Blick zu. So hätte ihn wahrscheinlich ein sterbender Molch angesehen, wenn er vergessen hätte, ihm frisches Wasser zu geben. Dann machte er mit zusammengebissenen Zähnen ein zischendes Geräusch.
»Du hast dich seit unserer Schulzeit wirklich völlig verändert«, sagte er. »Du bist nur noch ein Schatten deiner selbst. Kein Mut mehr. Keine Energie. Kein Unternehmungsgeist. Es liegt wohl am Alkohol.«
Er seufzte tief und zerdepperte das Porzellanfigürchen. Dann gingen wir zur Tür. Als ich sie öffnete, warf er mir noch so einen Blick zu.
»Willst du etwa so zum Abendessen gehen? Wozu trägst du denn einen Frack?«
»Jeeves hat das vorgeschlagen. Zur Hebung der Moral.«
»Na, du wirst dir ganz schön blöd vorkommen. Der alte Bassett trägt zum Essen immer eine Hausjacke aus Samt, die vorn über und über mit Suppe bekleckert ist. Zieh dich lieber um.«
Da hatte er sicher nicht unrecht. Man will ja schließlich nicht unnötig auffallen und sich damit die Moral untergraben. Schon wollte ich zurückgehen, um den Pinguin ad acta zu legen, da vernahm ich von unten aus dem Salon eine frische, junge Stimme, die zur Klavierbegleitung etwas sang, das sich ganz nach englischem Volkslied anhörte. Das geschulte Ohr hörte so manches »Juppheidi« und »Holdrio« heraus.
Diese Vokaldarbietung hatte auf Gussie die Wirkung, daß sein Blick sich verfinsterte und seine Augen hinter der Hornbrille blutunterlaufen wirkten. Es war, als hätte ihm das gerade noch gefehlt, um das Faß zum Überlaufen zu bringen.
»Stephanie Byng!« knurrte er. »Bringt es fertig, in so einem Augenblick lustige Liedchen zu singen!«
Wutschnaubend verließ er den Raum. Und kaum hatte ich die Smokingschleife fertig gebunden, da kam Jeeves herein.
»Mrs. Travers«, verkündete er formvollendet.
Ein »Ach du lieber Himmel!« entrang sich meinen Lippen. Natürlich war ich nach dieser formvollendeten Ankündigung darauf vorbereitet, daß sie gleich kommen würde, aber irgend so ein armer Wicht, der beim Spazierengehen nach oben schaut und sieht, wie aus einem Flugzeug eine Bombe auf ihn herunterfällt, weiß schließlich auch, daß sie gleich kommen wird, und trotzdem wird es davon nicht besser, wenn sie dann da ist.
Ich merkte, daß sie ziemlich aufgeregt war – »völlig aus dem Häuschen« trifft den Sachverhalt vielleicht noch genauer –, und ich beeilte mich, sie zuvorkommend im Sessel zu plazieren und mich bei ihr zu entschuldigen.
»Tut mir schrecklich leid, daß ich nicht zu dir kommen konnte, verehrte Ahnfrau«, sagte ich. »Ich hatte mit Gussie Fink-Nottle eine wichtige Unterredung über eine uns beide betreffende Angelegenheit. Seit wir uns zuletzt sahen, hat sich allerhand Neues ereignet, und ich die Lage ist prekär. Man könnte sagen, daß ich auf einem Pulverfaß mit kurzer Lunte sitze. Das ist doch nicht übertrieben, Jeeves, oder?«
»Nein, Sir.«
Sie wischte meine Beteuerungen mit einer Handbewegung beiseite.
»So, du hast also auch deine Probleme? Na, ich weiß zwar nicht, was sich bei dir Neues ereignet hat, aber bei mir hat sich etwas ereignet, das man nur als Katastrophe bezeichnen kann. Deshalb bin ich so schnell hierher gerannt. Es muß sofort etwas geschehen, sonst bricht für mich eine Welt zusammen.«
Ich überlegte, ob die Mona Lisa wohl auch gefunden hätte, daß das alles ein bißchen viel war. Ich meine, eine Schreckensmeldung nach der anderen.
»Was ist denn los?« erkundigte ich mich. »Was ist passiert?«
Sie rang einen Augenblick nach Luft, dann formten ihre Lippen ein einziges Wort.
»Anatole!«
»Anatole?« Ich nahm ihre Hand und tätschelte sie beruhigend. »Erzähle mir, du fiebernde Patientin«, sagte ich, »wovon du eigentlich redest. Was meinst du mit ›Anatole‹?«
»Wenn wir nicht wieselflink handeln, werde ich ihn verlieren.«
Es war, als klammerte sich eine eisige Hand um mein Herz.
»Verlieren?«
»Ja.«
»Obwohl du sein Salär verdoppelt hast?«
»Obwohl ich sein Salär verdoppelt habe. Hör zu, Bertie. Kurz bevor ich heute nachmittag von zu Hause losfuhr, kam ein Brief von Sir Watkyn Bassett an, der an Tom
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