Alter Hass rostet nicht
in Luft aufgelöst. Schulterzuckend folgte ich meinem Partner, der sich nach jemandem umsah, der hier etwas zu sagen hatte.
Wobei sich eine Unterhaltung schwierig gestaltet hätte, denn die gut und gerne 500 Quadratmeter große Halle wurde von mannshohen Boxen mit dröhnender Technomusik beschallt. Etwa hundert junge Männer und auch ein paar Mädchen gingen mit großem Eifer ihrem Training nach. Sie bearbeiteten die Boxbirne, sprangen Seil, droschen auf die Pratzen ihres Trainers ein, sparrten im Ring oder arbeiteten auf dem Crosstrainer an ihrer Kondition.
Phil sprach einen afroamerikanischen Jugendlichen in blauem Knicks-Trikot an, der höchstens zwölf war. Er deutete zum Boxring, in dem zwei kräftige Jungs einer höheren Altersstufe aufeinander einschlugen. Sie trugen einen ledernen Kopfschutz und silberne Boxhandschuhe, und obwohl es nur ein Trainingskampf war, schenkten sie sich nichts.
Und dann sah ich ihn. Chu Ling. Der größte Chinese, der mir jemals begegnet war.
Mit seinen knapp zwei Metern und 130 Kilo stand er unbeweglich wie eine Statue am Ring und beobachtete die beiden Boxer, ohne eine Miene zu verziehen. Dabei kaute er gelangweilt auf einer billigen Zigarre herum, während er sie langsam von einem Mundwinkel in den anderen wandern ließ, und nahm ab und zu einen Schluck aus der Dose Coors in seiner rechten Hand.
Genauso hatte ich mir einen Boxtrainer immer vorgestellt.
Ich trat zu ihm und hielt ihm meine Dienstmarke vor die Nase.
»Special Agent Cotton, FBI. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten. Können wir irgendwo ungestört reden?«
Er blickte mich lange an und schwieg. Vielleicht hatte er mich wegen der lauten Musik nicht verstanden, aber gerade als ich meine Bitte wiederholen wollte, quetschte er die Dose mit einer Hand zusammen, sodass das restliche Bier herausspritzte, warf sie zielsicher in ein altes Ölfass zu den anderen Dosenklumpen und schritt majestätisch davon.
Ich nickte Phil zu, und wir folgten ihm.
Chu Ling verschwand in einem düsteren Verschlag, der notdürftig zu einer Art Büro umfunktioniert war. Auf einem wackeligen Tapeziertisch standen ein total zerschrammter Laptop, ein tragbarer Drucker und ein paar aufeinandergestapelte Ablagefächer. Chu Ling warf sein Handy auf die Tischplatte und holte sich ein neues Coors aus dem Kühlschrank. Dann ließ er sich auf einer stabilen Holzkiste nieder und riss zischend die Aluminiumlasche von der Dose.
Wir zogen es vor stehen zu bleiben. Abgesehen davon gab es in dem engen Raum auch keine weitere Sitzgelegenheit.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, erklärte ich. »Der Hauptverdächtige ist ein gewisser Andrew Rowling. Besser bekannt als Rocky. Er hat früher mal in diesem Club geboxt.«
Der große Chinese sah mich wieder lange und vollkommen unbeweglich an. Ich hatte schon Angst, er könnte überraschend gestorben sein, als er mich eines Besseren belehrte.
»Rocky?«, flüsterte er kaum vernehmbar. Gemessen an seinem voluminösen Körper war seine Stimme erstaunlich hoch. Am Telefon hätte man ihn für eine Frau gehalten.
»Sie erinnern sich an ihn?«
Statt zu antworten, fischte Chu Ling eine Zigarre aus den Tiefen seiner Trainingsjacke und entzündete sie, als handele es sich um eine religiöse Zeremonie. Er paffte ein paar Mal, als prüfe er die Qualität des Tabaks, dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
»Rocky guter Junge«, murmelte er. »Harter Punch. Starke Lunge. Aber faul.«
Mein Blick fiel auf eine Fotowand hinter dem Chinesen. Junge Männer, die einen Pokal in die Luft stemmten, Gruppenfotos, Kampfszenen aus dem Ring. Leider war es zu dunkel, um einzelne Gesichter erkennen zu können.
»Dann war er wohl nicht besonders erfolgreich?«, wollte Phil wissen.
»Rocky Talent. Viel Talent. Aber auch Bier. Viel, viel Bier«, seufzte Chu Ling und kühlte mit der Dose Coors seine Stirn.
Von wem er das wohl hatte, sinnierte ich einen Moment, sprach es aber nicht aus.
Es gibt Leute, mit denen man keinen Ärger haben will. Chu Ling gehörte dazu.
»Was war mit Freunden«, fragte ich weiter. »Hatte er welche? Oder war er eher ein Einzelgänger?«
»Rocky viele Freunde. Und Mädchen. Hübsche Mädchen. Rocky immer viel hübsche Mädchen.«
»Erinnern Sie sich noch an die Namen?«
Chu Ling machte eine abfällige Geste.
»Was Namen? Namen sind für Grabsteine!«
So konnte man das auch sehen.
»Was ist mit Fotos?«, bohrte Phil weiter. »Haben Sie noch Fotos aus der Zeit?«
»Ich nix
Weitere Kostenlose Bücher