Alter Hass rostet nicht
Abschied.
Das konnten wir brauchen. Eine Menge davon.
***
»Rowling. Mistress Joan Rowling.«
»Wen darf ich melden?«
Wir zeigten der Dame mit der altmodischen Schmetterlingsbrille und den lila getönten Haaren unsere Ausweise. Sie musterte uns scharf und griff dann zum Telefon.
»Einen Moment, bitte.«
Ich sah mich in der weiträumigen Empfangshalle um. Der Raum war hell und angenehm klimatisiert, die Palmen neben dem gläsernen Aufzug und das Bambusbeet zur Gartenseite hin vermittelten eine exotische Urlaubsatmosphäre. Wer hier seinen Ruhestand genießen durfte, hatte es im Leben zu etwas gebracht. Oder man hatte einen Sohn, der durch eine erfolgreiche kriminelle Karriere zu Wohlstand gekommen war.
Mrs Joan Rowling gehörte zur zweiten Kategorie.
»Mistress Rowling empfängt Sie im Livingroom«, flötete die lila Empfangsdame und notierte sich irgendetwas auf einem Zettel. »Erste Etage links, hinter der Glastür rechts.«
Wir bedankten uns und nahmen die Treppe.
Auch der Aufenthaltsraum war großzügig geschnitten und teuer möbliert. Schwere, dunkle Ledersessel in Kombination mit dem hellen, frischen Grün südländischer Staudenpflanzen. Kleine Tische mit bunten Zierdecken, im Hintergrund eine Standuhr aus Teakholz, deren schweres Pendel lautlos hin und her schwang.
»Mistress Rowling?«
Die alte Dame am Fenster winkte mir zu.
»Kommen Sie. Martha hat mir schon Bescheid gesagt. Sind Sie wirklich vom FBI?«
Wir zeigten ihr unsere Marken, die sie eingehend betrachtete. Dann straffte sie sich plötzlich und blickte uns kampfeslustig an.
»Egal, um was es geht – Rocky kann es nicht gewesen sein. Er sitzt auf Rikers Island. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie ruhig nach. Sie haben ihn eingelocht, obwohl er unschuldig war.«
Phil brachte sie auf Stand, aber er brauchte eine Weile und musste seine ganze Überzeugungskraft in die Waagschale werfen, bis sie ihm endlich glaubte.
»Und was wollen Sie von mir?« fragte sie misstrauisch. »Auch wenn ich wüsste, wo sich mein Sohn versteckt, würde ich es Ihnen ganz bestimmt nicht verraten!«
»Früher oder später kriegen wir ihn sowieso«, behauptete Phil. »Aber wenn er sich freiwillig stellt, würde sich das für ihn sicher positiv auswirken.«
Mrs Rowling schwieg. Ihr schmales, vogelähnliches Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an.
»Sie sind doch sicher daran interessiert, dass Rocky auch in Zukunft für die Kosten dieses netten Seniorenheims aufkommt«, erkundigte sich Phil betont beiläufig. »Wär doch schade, wenn Sie zurück in Ihre alte Wohnung in der Orange Street ziehen müssten.«
Mrs Rowling zuckte leicht zusammen. Sie fuhr mit der Zunge über die Unterlippe und rieb nervös an ihrer Nase.
Ich warf meinem Partner einen anerkennenden Blick zu. Mit seiner scheinbar harmlosen Bemerkung hatte er bei der alten Dame genau den richtigen Knopf gedrückt.
»Wenn Sie nicht wissen, wo Ihr Sohn sich aufhält, haben Sie vielleicht ein aktuelles Foto von ihm«, bohrte Phil weiter. »Das würde die Fahndung nach ihm erheblich erleichtern.«
Mrs Rowling sah uns traurig an.
»Warum lassen Sie den Jungen nicht einfach laufen? Er war an dem Drogengeschäft damals nicht beteiligt. Das hat er mir geschworen. Rocky würde mich niemals anlügen.«
Offenbar las sie keine Zeitung. Wahrscheinlich hatte sie ihre Gründe.
»Ihr Sohn hat wahrscheinlich einen Menschen umgebracht«, sagte ich ernst.
Mrs Rowling starrte mich wütend an.
»Sparen Sie sich Ihre billigen Tricks! Rocky würde niemals jemanden töten! Niemals!«
»Vielleicht ist er tatsächlich unschuldig, aber um das festzustellen, müssen wir mit ihm reden.«
»Wenn Sie glauben, dass ich auf diesen Taschenspielertrick hereinfalle, haben Sie sich geschnitten!«
Die Frau war eine harte Nuss.
»Wie Sie wollen«, sagte ich und tat so, als wollte ich den Rückzug antreten. »Aber Ihrem Sohn tun Sie damit keinen Gefallen.«
Ich nickte Phil zu, der sofort verstand, was ich vorhatte. Wir gingen ein paar Schritte, dann hörten wir ihre schrille Stimme hinter uns.
»Wen zum Teufel soll Rocky überhaupt umgebracht haben?«
Ich wandte mich langsam um und sah ihr direkt in die Augen.
»Colin Banks. Den Anwalt, der ihn damals angeblich vorsätzlich nach Rikers Island gebracht hat.«
Ihre Reaktion war verblüffend. Urplötzlich verschwand jeder Ausdruck aus ihrem Gesicht. Sie erhob sich wortlos und ging an uns vorbei zur Tür. Als sie den Aufenthaltsraum verließ, murmelte sie kaum
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