Alter Hass rostet nicht
Fotos!« Chu Ling wurde langsam ungeduldig. Mit einem Ruck stand er auf, die Holzkiste ächzte unter seinem Gewicht. »Ich Arbeit!«
Damit stürmte er aus dem Raum und ließ einen leicht süßlichen Geruch aus altem Schweiß und Patschuli zurück.
»Komischer Vogel«, stellte Phil fest. »Aber ich glaube kaum, dass er uns weiterhelfen kann.«
»Das glaube ich für dich mit«, erwiderte ich lächelnd. Ich stand vor Chu Lings Fotowand und nahm eins herunter, das mein Interesse geweckt hatte. Es zeigte vier junge Männer im Boxdress, die ihre rechten Fäuste lachend in die Kamera hielten.
Drei der Männer erkannte ich sofort.
Es handelte sich um Colin Banks, Martin Knudson und Andrew ›Rocky‹ Rowling.
***
Erst als er die matt beleuchtete Fassade des Madison Square Garden sah, war er einigermaßen sicher, dass er nicht verfolgt wurde. Hastig überquerte er die Eighth Avenue und tauchte in die Seitenstraßen von Korea Town ein. Auch um drei Uhr morgens herrschte hier noch reger Betrieb.
John Reeves lief mehr, als dass er ging. Immer wieder wandte er sich um. Beim FBI hatten sie alles, auch Leute, die auf Personenverfolgung spezialisiert waren. Die kannten Tricks, von denen er noch nie gehört hatte. Er musste mit allem rechnen.
Obwohl es sich etwas abgekühlt hatte, lief ihm der Schweiß in Strömen. Sein blau-weiß gestreiftes Button-down-Hemd war bereits völlig durchnässt. Am JFK Airport würde er sich als Erstes umziehen müssen. Vorher musste er sich allerdings noch ein neues Hemd besorgen, denn er hatte nicht gewagt, einen Koffer mitzunehmen.
Alles, was er hatte, waren sein Reisepass, seine Kreditkarte und 65,30 Dollar in bar. Das musste reichen. Ein Ziel hatte er nicht. Er würde den ersten Flug buchen, den er kriegen konnte. Nur weg aus New York. Sich unsichtbar machen. Und abwarten, bis die große Flutwelle abgeebbt war, die in den nächsten Tagen über die Stadt hereinbrechen würde.
Dass schon das FBI eingeschaltet worden war, bedeutete, dass die Katastrophe unmittelbar bevorstand.
Er hatte die East 32nd Street erreicht. Sein Atem ging stoßweise. Das Adrenalin, das durch seinen Körper schoss, sorgte dafür, dass seine Nerven aufs Äußerste angespannt waren.
Plötzlich wurden seine Knie weich. Er musste sich einen Moment gegen eine Hauswand lehnen. Die Menschen, die an ihm vorbeiliefen, beachteten ihn gar nicht. Das war das Schöne an New York: Man konnte auf dem Bürgersteig krepieren und niemand nahm Notiz davon. John Reeves schätzte diese absolute Anonymität. Nur auf den ersten Blick hatte sie eine hässliche Fratze. Vor allem bedeutete sie Schutz.
Ein FedEx-Lieferwagen brauste vorbei, knapp gefolgt von einem Yellowcab. Eilig trat Reeves an den Straßenrand und winkte dem Fahrer zu, dann sah er, dass der Wagen besetzt war. Viele Cabs waren unterwegs, aber keins war frei. Es war zum Verrücktwerden. Er brauchte ein Taxi, und zwar schnell. Sonst würden sie ihn am Ende doch noch kriegen.
Sein Blick fiel auf eine kleine koreanische Suppenküche, aus der dichte Rauchschwaden in die Nachtluft geblasen wurden. Ein Kaffee wäre nicht schlecht. Ein Kaffee, um die Nerven zu beruhigen.
Er holte sich einen Becher voll an der Theke und eine Plastikschüssel mit dampfender Nudelsuppe. Genau das Richtige. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen, nur Koffer gepackt und telefoniert. Plötzlich spürte er den Hunger wie einen brutalen Schlag in die Magengrube. Er löffelte die heiße Suppe gierig in sich hinein.
Alles hatte angefangen mit einem Anruf von Martin Knudson. Er habe Informationen, dass ein Anwalt ihrem lukrativen Geschäft mit gefälschten Kunstwerken auf die Spur gekommen sei. Sein besonderes Augenmerk gelte der Sammlung Kailee Anderson. Vor allem die falschen Canalettos hätten sein Interesse geweckt.
Michael war sofort hysterisch geworden und wollte seine Galerie schließen. Aber Knudson hatte ihn beruhigt. Um den Anwalt solle er sich keine Sorgen machen, er, Knudson, würde sich um ihn kümmern. Er habe die Sache im Griff. Sie sollten in der nächsten Zeit einfach vorsichtiger sein und ihm sofort Bescheid geben, wenn sich etwas Ungewöhnliches ereignete. Ansonsten gelte Business as usual.
Aber dann war der Anwalt persönlich bei Mimi Blum aufgetaucht, und Michael drehte durch. Er schloss die Galerie drei Tage lang. Martin Knudson bekam einen cholerischen Anfall und stieß wüste Drohungen aus. Jetzt nur nicht auffallen, war seine Parole, sonst haben wir ganz schnell das
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