Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)
dem Lockruf des alten Königs.
Im Grunde möchte ihm die Taube ja Folgendes sagen: Wenn du der Tradition dieses Königs folgst, dich auf seinen Thron setzt, verlierst du die Anbindung an deine Prinzessin, verlässt du die erotische Spur. Diesem König nachzufolgen, der keine Königin hat, der nachts schläft und nichts vom Weiblichen versteht, vermutlich aber viel von Macht – schließlich will er ja auch seine Tochter mit dem mächtigen Zauberer verheiraten – diesem König zu folgen, bedeutet den Tod der Liebesenergie.
Und so nimmt das Desaster seinen Lauf, als er sich stolz auf dem steinernen Thron niederlässt. In diesem Moment verschwindet die Prinzessin. Die Versuchung durch Macht, Geltung und Wichtigkeit in der äußeren Welt ist zu groß für den Prinzen, und Dewi Ngalima lacht glücklich dazu! Viele Vater-Töchter, denen die »mütterliche Weisheit« fehlt, sind zum Beispiel stolz auf ihren Karriere-Mann, fördern ihn auf dem Weg zu seinem Thron und begraben dabei – ohne es zu merken– die Energie der Liebe.
Ich habe in Gruppen manchmal erlebt, wie schockiert und traurig Frauen festgestellt haben: Genau das habe ich getan! Ich habe zum Beispiel das Studium meines Mannes finanziert, seine Projekte gefördert, hinterher war die Beziehung am Ende. Das muss nicht immer so enden, doch in dieser Geschichte ist es so und im richtigen Leben manchmal auch.
Nun ist ja noch nicht alles verloren. Von der Spur abzukommen ist normal, im Märchen wie im richtigen Leben. Noch scheint es möglich, die Prinzessin wiederzugewinnen, zur Liebe zurückzufinden. Aber der Prinz ist ungeduldig und nicht leidensbereit. Der Weg zur Prinzessin – sagen viele Märchen – ist für den Mann auch ein Leidensweg. Im Märchen „Vom Königssohn, der sich vor nichts fürchtet“, muss der Held drei Nächte voller Qual aushalten, um die schwarze Prinzessin zu erlösen. Er muss sich in einer archetypisch weiblichen Haltung bewähren: Akzeptieren, Hingeben, Geschehenlassen, Erdulden.
Im Märchen „Dermot mit dem Liebesfleck“ werden vier Krieger im Haus des Weiblichen so gedemütigt, dass sie sofort wieder diesen Platz verlassen wollen, und erst durch Zureden des alten Weisen sind sie bereit, den weiteren Prüfungen zu begegnen. Einer von ihnen sagt wörtlich: »Alter, wer weiß, welche Demütigungen uns hier noch bevorstehen, hier wollen wir nicht bleiben!«
Auf den Rat des alten Weisen hin stellen sich schließlich Dermot und seine Gefährten den Herausforderungen des Platzes, und zumindest Dermot findet in diesem Märchen den Weg zur Liebe. Der Weg zur Liebe ist für den männlichen Helden aus einem einfachen Grund so schwer: Liebe ist nicht machbar. »Ich will, dass du mich liebst!« funktioniert nicht.
Wie Dermot begegnet auch der Prinz in dieser Geschichte in der Krisensituation dem alten Weisen, in Form des erhabenen Greises am Fuß des heiligen Berges. Diese Gestalt ist schon deswegen erwähnenswert, weil sie nicht nur männliche Qualitäten hat, sondern auch etwas vom Weiblichen zu verstehen scheint. Der Alte hat die Tränen seiner Mutter nicht vergessen. Er ist wie ein guter Therapeut: streng, gnadenlos konfrontierend und doch voller Mitgefühl. Er spiegelt dem Prinzen seine Vermessenheit und Ungeduld, und doch gibt er ihm eine Chance, öffnet ihm die Tür zur weiteren Entwicklung. Aber irgendwie scheint jetzt keine Umkehr mehr möglich.
Wenn wir jammern und wehklagen, wie der Prinz in dieser Situation, dann wollen wir uns in der Regel tieferem, echtem Leid nicht stellen. Der Prinz möchte unbedingt seine Geliebte zurückhaben, aber nicht den Preis dafür bezahlen. Den Preis der Selbsterkenntnis und Auseinandersetzung mit seinen Fehlern, den Preis der Qualnächte. Und so endet auch seine Auseinandersetzung mit diesen Geistern, den hässlichen Greisen am Fuß des Berges im Desaster.
Die Geistergestalten des Unbewussten, mögen sie auch noch so furchterregend sein, mit dem Dolch zu bekämpfen, kann nicht gut gehen. Die Dolch- oder Schwertenergie des klaren Bewusstseins im Reich des Unbewussten anzuwenden, funktioniert nicht. Es ist für einen Menschen mit der Haltung dieses Prinzen oft ungeheuer schwer, die Gestalten des Unbewussten einfach nur auszuhalten, zu akzeptieren, anzuschauen, ohne gleich zum Schwert zu greifen. Märchen erzählen aber, dass genau diese Art von Leidensbereitschaft unabdingbar ist, wenn die Prinzessin erlöst oder wiedergefunden werden will.
Und was macht
Weitere Kostenlose Bücher