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Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition)

Titel: Alter König Neuer König - Seelenweishheit im Märchen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Riemann
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Berg Sawal, dem Berg der Unsichtbaren!«
     
    Der Königssohn jedoch missachtete die Warnung. Irgendetwas lockte ihn zu dem düsteren Berg, irgendjemand rief ihn aus den schwarzen Schründen.
     
    »Wo bist du, Dewi Ngalima, wo bist du, meine Liebste?«, klagte er weinend.
     
    »Sie verwandelte sich in eine weiße Taube, in jene Taube mit dem weißen Streifen auf dem Schöpf«, hörte er es von irgendwoher rufen. Der Prinz schaute in die Tiefe und erblickte am Fuß des Berges einen Haufen hässlicher Greise, die ihm zuwinkten. Es waren jedoch keine Menschen, sondern Geister. Der Prinz flog zu ihnen.
     
    »Wo ist Dewi Ngalima, meine Braut?«, forderte er von ihnen.
     
    »Sie wurde eine Himmelsfee und flog zu den Sternen«, lachte einer von ihnen meckernd.
     
    »Sie grinst im Fell des Tigers aus dem Dschungel«, spottete ein anderer. Ein Dritter begann zu höhnen: »Das ist alles nicht wahr: Sie verwandelte sich in einen Zwergbock!«
     
    »Ihr irrt euch! Sie ist ein Fisch und durchpflügt die Wellen«, meinte ein Vierter aus der Geisterrunde.
     
    Doch der älteste und hässlichste Greis brachte alle anderen zum Schweigen: »Ich weiß es am besten, Prinz: Sie wurde zu einem Frosch, der sich in eine hässliche alte Hexe verwandelte, die einen Echsenschwanz und Krebsscheren hat.«
     
    »Die alte Hexe haben wir erschlagen und in die tiefste Schlucht geworfen!«, lachten ihn die Geister hämisch aus, »so ist das, nun weißt du es!«
     
    Als der Prinz die grausamen Worte der Alten vernahm, geriet er in Wut, zog seinen Zauberkreis mit der gewellten Klinge und schlug den Geistern allesamt die Köpfe ab. Ihre Körper verwandelten sich sofort in Felsen, aber ihre Köpfe rollten in den Abgrund und lachten höhnisch: »Wer in Wut entbrennt, dessen Tränen fließen. Wer selbst schuldig wird, muss dafür büßen!«
     
    Der Königssohn war selber entsetzt, weil er so unbeherrscht gewesen war, und er bat die Götter um Vergebung. Aber der Himmel schwieg. Da stürmte er über Stock und Stein zum Gipfel des Berges Sawal hinauf, des Berges der Geister und Unsichtbaren.
     
    »Wo bist du, Dewi Ngalima, meine verlorene Liebe?«, schrie er verzweifelt.
     
    Da sprang eine abscheuliche alte Hexe aus dem Gebüsch hervor. Sie hatte einen Echsenschwanz, eine Schlangenzunge und Krebsscheren. Dieses Ungeheuer umarmte den Prinzen und versuchte ihn zu küssen. »Ich bin es, Dewi Ngalima, deine Braut! Hast du mich denn ganz und gar vergessen?«, zischte die Hexe.
     
    Der Prinz war starr vor Abscheu und Grauen. »Du willst Dewi Ngalima, mein guter Stern, meine Morgenröte, sein? Wie könntest du dich so verwandelt haben! Weiche von mir, Ungeheuer, sonst reiße ich dir dein Herz aus dem Leib!«
     
    Da zog sich ein wildes Gewitter zusammen, und der Berg begann Feuer zu speien. »Wehe dir, Prinz aus dem Land des Jasmintaus! Du hast die Geister beleidigt. Der Fluch hat sich erfüllt«, rief die alte Hexe aus, schwang sich auf das Ross des Prinzen und flog durch die Lüfte davon. Der Königssohn wollte sie zurückhalten. Doch er vermochte sich nicht mehr von der Stelle zu rühren. Sein ganzer Körper erstarrte allmählich und verwandelte sich in schwarzes Gestein. Nur seinem Mund entfloh noch ein schwacher Hauch, der traf eine einsame Knospe. Sie entfaltete sich daraufhin und gab Dewi Ngalima, die Prinzessin aus dem Reich Pajajaran, frei.
     
    »Warum kamst du in dieses verwunschene Land, mein Prinz?«, fragte sie traurig. »Warum widersetztest du dich den Unsichtbaren und den Gesetzen der Götter?«
     
    »Ich suchte dich, Liebste …«
     
    Das waren die letzten Worte des Prinzen aus dem Land des Jasmintaus. Dann verwandelte er sich in eine bewegungslose Statue. Die Prinzessin Dewi Ngalima aber begann bitterlich zu weinen, und aus ihren Augen tropften erneut schwarze Reiskörner. Niemals mehr versiegten ihre Tränen. In mondhellen Nächten sitzt sie noch heute auf diesem oder jenem Friedhof unter einem buschigen Waringin-Baum und näht ein Totenhemd für den Prinzen aus dem Land des Jasmintaus. Sie näht und näht, aber sie wird ihre Arbeit niemals beenden. Wenn der Sturmwind über die Inseln heult, sagen die alten Leute: »Hört ihr das Klappern eines Webstuhls? Da webt Dewi Ngalima! Hört ihr das Schluchzen aus der Dunkelheit? Da weint die unglückliche Prinzessin!« (MÄRCHEN AUS INDONESIEN)
     
4.3.1. Überlegungen zum Märchen
     
    Auch dieses Südseemärchen zeigt am Anfang den König ohne Königin. Dieser König regiert am Tag und

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