Altern Wie Ein Gentleman
letzte Rätsel hatte er voller Vertrauen in die Hände des Schöpfers gelegt.
Ganz anders heute. Ständig überwältigen uns neue, aufregende Erfindungen und Neuerungen. Fantastische Projektionen und Pläne weisen in eine unbekannte, stets aufregende Zukunft. Man kann sich nicht sattsehen an dem prächtigen Schauspiel und würde gerne bleiben wollen, um zu sehen, wie es weitergeht. Was ist schon das Jenseits gegen die Marktreife des iPads?
Friede, Wohlergehen und das Primat der Äußerlichkeit vor dem der Persönlichkeit haben ihre Spuren auf unseren Gesichtern hinterlassen – nämlich kaum welche. Die Glatze, einst das untrüg-
liche Zeichen der Vergänglichkeit, der auch wir nicht entkom-
men, haben wir listig zur Mode erklärt. Was Yul Brynner und Teddy Savalas für die Generation unserer Eltern nicht gelungen war, hat Bruce Willis so erfolgreich in die Tat umgesetzt, dass auch die Jugend sich nun das kahle Haupt zum Vorbild nimmt – eine der seltenen Ausnahmen, bei der sie in unserem Lebensstil wildert, und nicht umgekehrt, wir in ihrem.
Wir sehen heute im Schnitt etwa fünfzehn Jahre jünger aus als unsere Vorfahren im selben Alter. Unsere Körper, die Erschöpfung vornehmlich als Ferienerlebnis erfahren haben, gehorchen auch jenseits der sechzig in aufrechter Haltung unseren Anweisungen. Unsere Augen, die Elend und Not, die herzlosen Feinde der Gesichtszüge, in erster Linie aus den Medien kennen, sind frisch und neugierig geblieben. Ausreichende und gesunde Nahrung im Verbund mit einem gewissenhaften Gesundheitsbewusstsein haben das ihre beigetragen. Die eine oder andere kleine Retusche bringt zusätzlichen Gewinn an Äußerlichkeit.
Nun sind alte Menschen seit je davon überzeugt, jünger zu wirken, als dies ihre Geburtsurkunde ausweist. Einer breit angelegten Berliner Altenstudie zufolge glauben Männer und Frauen zwischen siebzig und neunundachtzig, um durchschnittlich neuneinhalb Jahre jünger auszusehen. Diese Differenz nimmt im Alter noch zu: Neunzigjährige glaubten gar, vierzehn Jahre jünger auszusehen. Unsere Versicherung den Vorfahren gegenüber, sie sähen »wirklich sehr viel jünger aus«, war jedoch stets gelogen und diente vor allem der Abwehr von Jammern und Klagen, den lästigen Nebengeräuschen, die das Leid des Alterns gelegentlich mit sich bringt. Es bestand also schon immer eine tragische Differenz zwischen Eigen- und Fremdeinschätzung, die zu genierlichen Verwicklungen führen kann, wenn der Alte begann, sich nach den Vorgaben seiner Selbstwahrnehmung zu verhalten.
Meine Generation indes hält sich nicht nur selbst für jünger, sie wird auch dafür gehalten. Wir nehmen erstaunte Kommentare wie: »In Rente? Das hätte ich wirklich nicht gedacht!«, »Hallo, junger Mann, lassen Sie bitte die ältere Dame vor!« oder: »StehenSie doch auf, um dem Herrn Platz zu machen« routiniert zur Kenntnis. Ein ehemaliger Gesundheitsminister sah in mir anlässlich meiner Verabschiedung aus ARD -Diensten gar das beste Argument für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
Wir sind dergleichen Komplimente gewöhnt. Aber sind wir deswegen wirklich »jung«, wie man sich für einen kurzen Augenblick der Hingabe an die artige Schmeichelei einbilden möchte? Selbstredend nicht, obgleich wir uns gerne dieser Illusion hingeben, die freilich selten von Dauer ist, weil die Realität noch ein Wörtchen mitzureden hat. Wir sind äußerlich jünger als unsere Eltern und deren Eltern, aber unsere Jugendlichkeit entsteht nur im Vergleich mit den Gesichtszügen jener Generationen, die durch mörderische Zeiten, die ihre Spuren hinterlassen haben, gehen mussten.
Wenn unsere Eltern und Großeltern, die Maßstäbe des Vergleichs, eines Tages von uns gegangen sein werden, wird sich die scheinbare Jugendlichkeit schnell verflüchtigen. Sie ist, wie so vieles andere auch, ein zeitlich beschränktes Privileg meiner Generation.
Für unsere Kinder und Enkel sind wir im Übrigen alt, unabhängig davon, wie frisch wir im Vergleich noch wirken. Junge Menschen verknüpfen unser Geburtsdatum, unbeeindruckt von faltenfreier Haut und aufrechtem Gang, mit bewährten und unnachsichtigen Stereotypen wie »verblüht«, »klapprig«, »abgehalftert« oder »verkalkt«. Wie allen Vorurteilen ist auch diesen ein Moment von Wahrheit eigen.
»Das Alter vergisst zuweilen, wo seine Grenzen sind, und versucht sich in unangemessener Weise jung zu geben«, heißt es in einer sorgfältigen Studie zum Thema. Wir verzeihen uns diese
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